Im Land Der Weissen Wolke
»Jetzt noch nicht. Sie ...«
»Kommt noch andere Baby«, erklärte Rongo mit Gemütsruhe. »Und ist schwer. Ist früh, Mama krank. Muss sie bleiben. Sie sagen, Miss Helen stark, Baby gesund. Soll helfen ich.«
»Du?«, fragte Gwyn. Rongo war höchstens elf Jahre alt.
»Ja. Ich schon gesehen und geholfen kuia . In mein Familie viele Kinder!«, meinte Rongo stolz.
Gwyneira erschien sie als Geburtshelferin zwar nicht optimal, aber offensichtlich hatte sie mehr Erfahrung als alle anderen verfügbaren Frauen und Mädchen.
»Also schön. Was machen wir jetzt, Rongo?«, erkundigte sie sich.
»Nichts«, antwortete die Kleine. »Warten. Dauert Stunden. Matahorua sagt, wenn fertig, kommt.«
»Das ist ja mal eine echte Hilfe«, seufzte Gwyneira. »Aber gut, warten wir ab.« Etwas anderes wäre ihr auch nicht eingefallen.
Rongo hatte Recht. Es dauerte Stunden. Manchmal war es schlimm, und Helen schrie bei jeder Wehe; dann wieder war sie ruhig, schien sogar minutenlang schlafen zu können. Gegen Abend aber wurden die Wehen stärker und kamen in kürzeren Abständen.
»Das normal«, bemerkte Rongo. »Kann ich machen Sirup-Pfannkuchen?«
Dorothy war entsetzt, dass die Kleine an Essen auch nur denken konnte, doch Gwyn fand die Idee nicht schlecht. Auch sie war hungrig, und vielleicht konnte sie Helen ja auch zu einem Happen überreden.
»Geh ihr helfen, Dorothy!«, befahl sie.
Helen sah sie verzweifelt an. »Was wird aus dem Kind, wenn ich sterbe?«, flüsterte sie.
Gwyneira wusch ihr den Schweiß von der Stirn. »Du stirbst nicht. Und das Kind muss erst mal da sein, bevor wir uns Gedanken darüber machen. Wo bleibt denn dein Howard? Müsste der nicht langsam zurück sein? Er könnte dann nach Kiward Station reiten und Bescheid sagen, dass ich später komme. Die machen sich doch sonst Sorgen!«
Helen musste trotz ihrer Schmerzen beinahe lachen. »Howard? Bevor der nach Kiward Station reitet, müssen Weihnachten und Ostern zusammenfallen. Vielleicht könnte Reti ... oder ein anderes Kind ...«
»Die lasse ich nicht auf Igraine. Und der Esel kennt den Weg ebenso wenig wie die Kinder.«
»Er ist ein Maultier ...«, verbesserte Helen und stöhnte auf. »Sag nicht Esel zu ihm, das nimmt er übel ...«
»Ich wusste, du würdest ihn lieben. Hör mal, Helen, ich heb jetzt dein Nachthemd an und schaue darunter. Vielleicht guckt das Kleine ja schon raus ...«
Helen schüttelte den Kopf. »Das hätte ich gespürt. Aber ... aber jetzt ...«
Helen krümmte sich unter einer neuen Wehe. Sie erinnerte sich daran, dass Mrs. Candler etwas von Pressen gesagt hatte, also versuchte sie es und wimmerte vor Schmerzen.
»Kann sein, dass jetzt ...« Die nächste Wehe kam, bevor sie noch ausgesprochen hatte. Helen winkelte die Beine an.
»Geht besser, wenn sich hinknien, Miss Helen«, bemerkte Rongo mit vollem Mund. Sie kam eben mit einem Teller Pfannkuchen herein. »Und rumlaufen hilft. Weil Baby muss runter, verstehen?«
Gwyneira half der stöhnenden, protestierenden Helen auf die Beine. Sie schaffte aber nur ein paar Schritte, bevor sie unter der nächsten Wehe zusammenbrach. Gwyn hob ihr Nachthemd an, während sie kniete, und sah etwas Dunkles zwischen ihren Beinen.
»Es kommt, Helen, es kommt! Was soll ich denn jetzt machen, Rongo? Wenn es jetzt rausfällt, fällt es doch auf den Boden!«
»Fällt nicht so schnell raus«, bemerkte Rongo und stopfte sich einen weiteren Pfannkuchen in den Mund. »Hmmm, schmeckt gut. Kann Miss Helen gleich essen, wenn Baby da.«
»Ich will wieder ins Bett!«, jammerte Helen.
Gwyneira half ihr, obwohl sie es nicht für sehr klug hielt. Es war eindeutig schneller gegangen, solange Helen aufrecht stand oder kniete.
Aber dann hatte sie keine Zeit mehr zum Nachdenken. Helen schrie noch einmal gellend, und schon wurde der kleine, dunkle Scheitel, den Gwyn gesehen hatte, zu einem Babykopf, der sich ins Freie schob. Gwyneira erinnerte sich an die vielen Geburten von Lämmern, die sie heimlich beobachtet hatte und bei denen der Schäfer nachhalf. Das konnte auch hier nicht schaden. Beherzt griff sie nach dem Köpfchen und zog, während Helen unter der nächsten Wehe keuchte und schrie. Sie trieb das Köpfchen dabei aus, Gwyneira zog, sah die Schultern – und dann war das Baby da, und Gwyn sah in ein zerknittertes Gesichtchen.
»Jetzt abschneiden«, sagte Rongo gelassen. »Schnur abschneiden. Schöne Kind, Miss Helen. Junge!«
»Ein kleiner Junge?«, stöhnte Helen und versuchte sich aufzurichten.
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