Im Land Der Weissen Wolke
gar nicht. Schweigsam löffelte er sein Stew und zog sich dann bald in sein Zelt zurück.
»Ich helfe noch aufzuräumen«, behauptete Gwyn so gewichtig, als wäre mindestens das Geschirr eines Fünf-Gänge-Menüs zu spülen. Tatsächlich überließ sie die paar Essgeschirre den Maoris und gesellte sich noch ein wenig zu den Männern, die jetzt von ihren Abenteuern berichteten. Natürlich kreiste wieder mal eine Flasche, und wie jedes Mal wurden die Geschichten dabei immer dramatischer und gefährlicher.
»Bei Gott, wenn ich nicht da gewesen wäre, hätte der Widder ihn glatt auf die Hörner genommen!«, kicherte der junge Dave. »Jedenfalls rannte er auf ihn zu, und ich rief ›Mr. Lucas!‹, aber er sah das Biest immer noch nicht. Also pfiff ich dem Hund, und der flitzte zwischen ihn und das Schaf und trieb den Widder weg ... aber glaubt ihr, der Kerl wäre dankbar? Von wegen, geschimpft hat er! Er hätte ’nen Kea beobachtet, hat er gesagt, und der Hund habe den Vogel vertrieben. Dabei hätte der Widder ihn fast erwischt, sag ich euch! Dann hätte er noch weniger in der Hose als ohnehin schon!«
Die anderen Männer grölten. Nur James McKenzie blickte unbehaglich. Gwyn sah ein, dass sie sich jetzt lieber zurückzog, wollte sie nicht weitere kompromittierende Dinge über ihren Gatten hören. James folgte ihr, als sie aufstand.
»Tut mir Leid, Miss Gwyn«, meinte er, als sie in den Schatten jenseits des Lagerfeuers traten. Dunkel war diese Nacht nicht: Es war Vollmond, und die Sterne leuchteten. Auch morgen würde ein klarer Tag sein – ein Geschenk für die Viehtreiber, die sich sonst oft mit Nebel und Regen herumschlagen mussten.
Gwyneira zuckte die Schultern. »Das braucht Ihnen nicht Leid zu tun. Oder haben Sie sich beinahe auf die Hörner nehmen lassen?«
James verkniff sich das Lachen. »Ich wünschte, die Männer wären ein bisschen diskreter ...«
Gwyneira lächelte. »Dann sollten Sie ihnen erst mal erklären, was Diskretion bedeutet. Nein, nein, Mr. McKenzie. Ich kann mir gut vorstellen, was da passiert ist, und ich verstehe auch, dass die Leute wütend sind. Mr. Lucas ist ... nun, er ist für diese Dinge nicht geschaffen. Er spielt sehr gut Klavier und malt sehr schön, aber reiten und Schafe treiben ...«
»Lieben Sie ihn eigentlich?« James hätte sich ohrfeigen können, kaum dass die Worte heraus waren. Er hatte das nicht fragen wollen. Niemals – es ging ihn nichts an. Aber auch er hatte getrunken, auch er hatte einen langen Tag gehabt, und auch er hatte Lucas Warden dabei mehr als einmal verflucht!
Gwyneira wusste, was sie ihrem Stand und Namen schuldig war. »Ich achte und verehre meinen Gatten«, gab sie brav zur Antwort. »Ich wurde ihm aus freiem Willen angetraut, und er behandelt mich gut.« Sie hätte noch anmerken müssen, dass McKenzie dies im Übrigen gar nichts anginge, aber das schaffte sie nicht. Irgendetwas sagte ihr, dass er ein Recht hatte, sie danach zu fragen.
»Beantwortet das Ihre Frage, Mr. McKenzie?«, erkundigte sie sich stattdessen leise.
James McKenzie nickte. »Tut mir Leid, Miss Gwyn. Gute Nacht.«
Er wusste nicht, weshalb er ihr die Hand entgegenstreckte. Es war nicht üblich, sicher auch nicht schicklich, sich nach ein paar Stunden am Lagerfeuer so förmlich zu verabschieden. Schließlich würde man sich morgen beim Frühstück schon wiedersehen. Doch Gwyn nahm seine Hand ganz selbstverständlich. Ihre kleine, schmale, aber vom Reiten und der Arbeit mit den Tieren harte Hand lag leicht in der seinen. James konnte den Impuls, sie an seine Lippen zu führen, kaum bezwingen.
Gwyneira hielt den Blick gesenkt. Es war ein gutes Gefühl, als seine Hand die ihre umschloss, ein wohliges Gefühl der Sicherheit. Überall in ihrem Körper schien sich Wärme auszubreiten – auch da, wo es alles andere als schicklich war. Langsam hob sie den Blick und sah einen Widerhall ihrer Freude in McKenzies forschenden dunklen Augen. Und plötzlich lächelten beide.
»Gute Nacht, James«, sagte Gwyn sanft.
Sie schafften den Schaftrieb in drei Tagen, so schnell wie nie zuvor. Kiward Station hatte während des Sommers auch nur wenige Tiere verloren; die meisten waren in hervorragendem Zustand, und die Hammel erzielten gute Preise. Ein paar Tage nach der Rückkehr auf die Farm warf Cleo ihre Jungen. Gwyn betrachtete entzückt die vier winzigen Hundebabys in ihrem Korb.
Gerald dagegen schien verstimmt.
»Scheint, dass jeder es kann – außer euch!«, brummte er und warf seinem
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