Im Land Der Weissen Wolke
Mediziner gewesen wäre. Gwyn fand es gar nicht so schlimm, auf einen Arzt verzichten zu müssen. Nachdem sie Matahorua bei der Arbeit gesehen hatte, war sie jederzeit bereit, sich einer Maori-Hebamme anzuvertrauen. Doch Gerald erklärte dies für unannehmbar, und Lucas vertrat diese Ansicht sogar noch entschiedener.
»Es geht nicht an, dass irgendeine Wilde dich betreut! Du bist eine Lady und musst mit entsprechender Sorgfalt umhegt werden. Das Ganze ist ohnehin ein großes Risiko. Du solltest in Christchurch entbinden.«
Das wiederum brachte Gerald auf die Barrikaden. Der Erbe von Kiward Station, erklärte er, würde auf der Farm zur Welt kommen und nirgendwo sonst.
Gwyneira vertraute das Problem schließlich Mrs. Candler an, obwohl sie befürchtete, dass diese ihr daraufhin Dorothy anbieten würde. Die Händlersfrau tat das auch gleich, wusste darüber hinaus aber noch eine bessere Lösung.
»Unsere Hebamme hier in Haldon hat eine Tochter, die ihr oft zur Hand geht. Soweit ich weiß, hat sie auch schon allein Entbindungen vorgenommen. Fragen Sie doch einfach mal, ob sie bereit ist, ein paar Tage nach Kiward Station zu ziehen.«
Francine Hayward, die Tochter der Hebamme, erwies sich als aufgeweckte, optimistische Zwanzigjährige. Sie hatte volles blondes Haar und ein rundes, fröhliches Gesicht mit Stupsnase und auffallend hellgrünen Augen. Mit Gwyneira verstand sie sich auf Anhieb großartig. Die beiden waren schließlich fast gleichaltrig, und schon nach den ersten zwei Tassen Tee verriet Francine Gwyneira von ihrer heimlichen Liebe zum ältesten Sohn der Candlers, während Gwyneira ihr erzählte, dass sie als Mädchen von Cowboys und Indianern geträumt hatte.
»In einem der Romane kriegt eine Frau ein Kind, während die Rothäute das Haus umzingelt haben! Und sie ist dabei ganz allein mit ihrem Mann und ihrer Tochter ...«
»Na, so romantisch fände ich das nicht«, meinte Francine. »Im Gegenteil, es wäre mein Albtraum. Stell dir vor, wenn der Mann ständig zwischen Schießstand und Windeln hin und her rennt und dabei abwechselnd ›Pressen, Liebling!‹ und ›Ich krieg dich, verdammte Rothaut!‹ ruft.«
Gwyneira kicherte. »So was käme meinem Mann im Angesicht einer Lady gar nicht über die Lippen. Wahrscheinlich würde er sagen: ›Entschuldige mich einen Moment, meine Liebe, ich muss rasch noch einen dieser Wilden eliminieren.‹«
Francine prustete los.
Da auch ihre Mutter mit dem Arrangement einverstanden war, ritt sie gleich am selben Abend hinter Gwyneira nach Kiward Station. Sie saß locker und furchtlos auf Igraines blankem Rücken, ließ Lucas’ Tadel – »Was für ein Risiko, zu zweit zu reiten! Wir hätten die junge Dame abholen können!« – gelassen an sich ablaufen und bezog staunend eines der noblen Gästezimmer. In der nächsten Zeit genoss sie den Luxus, nichts tun zu müssen, außer Gwyneira bis zur Geburt des »Kronprinzen« Gesellschaft zu leisten. Dabei verschönerte sie eifrig die fertigen Strick-und Häkelarbeiten, indem sie goldene Krönchen darauf stickte.
»Du bist doch von Adel«, sagte sie, als Gwyneira erklärte, dass sie das peinlich fand. »Das Baby steht bestimmt irgendwo auf der Liste der britischen Thronfolger!«
Gwyneira hoffte, dass Gerald das nicht hörte. Sie hätte dem stolzen Großvater durchaus Anschläge auf das Leben der Königin und ihrer Nachkommen zugetraut. Vorerst aber beschränkte Gerald sich darauf, das Krönchen in das Brandzeichen von Kiward Station aufzunehmen. Er hatte vor kurzem ein paar Rinder gekauft und brauchte nun ein registriertes Zeichen. Lucas zeichnete auf Geralds Anweisung ein Wappen, in dem sich Gwyneiras Krönchen und ein Schutzschild vereinten, das Gerald aus dem Namen »Warden« herleitete – »Wächter«.
Francine war witzig und stets gut gelaunt. Ihre Gesellschaft tat Gwyneira gut; sie ließ keine Angst vor der Entbindung aufkommen. Stattdessen verspürte Gwyn eher einen Anflug von Eifersucht – Francine hatte den jungen Candler nämlich umgehend vergessen und wollte gar nicht aufhören, von James McKenzie zu schwärmen.
»Er interessiert sich für mich, bestimmt!«, sagte sie aufgeregt. »Jedes Mal, wenn er mich sieht, fragt er mich aus. Nach meiner Arbeit und danach, wie es dir geht. Es ist so süß! Und es ist offensichtlich, wie er nach Gesprächsstoff sucht, der mich interessiert! Weshalb sollte er sich sonst danach erkundigen, wann du wohl das Baby kriegst!«
Gwyneira fielen da einige Gründe ein, und sie
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