Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
Vom Netzwerk:
servierte. Dabei zeigte es so viel Respekt vor dem Hausherrn Gerald Warden, dass es fast schon an Angst grenzte. Der ältere Herr schien aufbrausend zu sein und verfügte offensichtlich über ein lebhaftes Temperament: Er plauderte angeregt, wenn auch schon etwas trunken über Gott und die Welt und hatte zu jedem Thema eine Meinung. Der junge Herr, Lucas Warden, wirkte dagegen eher still, fast leidend. Wenn sein Vater allzu radikale Ansichten vertrat, schien ihm das geradezu körperliche Schmerzen zu bereiten. Ansonsten war Gwyneiras Gatte sympathisch, sehr wohlerzogen, der perfekte Gentleman. Freundlich, aber bestimmt korrigierte er die Tischsitten seiner Tochter – der Umgang mit dem Kind schien ihm zu liegen. Fleur stritt sich nicht mit ihm herum wie mit ihrer Mutter, sondern breitete die Serviette brav auf den Knien aus und beförderte das Lammfleisch mit der Gabel zum Mund, statt einfach zuzugreifen wie weiland die wilden Gesellen im Sherwood Forest. Aber vielleicht lag dies ja auch an Geralds Anwesenheit. Eigentlich erhob in dieser Familie niemand die Stimme, wenn der Alte zugegen war.
    Trotz der Schweigsamkeit um ihn herum unterhielt George sich an diesem Abend recht gut. Gerald konnte launig vom Farmleben erzählen – George sah die Aussagen der Leute in Christchurch bestätigt. Der alte Warden verstand sich auf Schafe und Wollgewinnung, hatte mit der Anschaffung der Rinder den richtigen Riecher gehabt und hielt seine Farm perfekt in Schuss. George selbst hätte allerdings auch gern weiter mit Gwyneira geplaudert, und Lucas erschien ihm nicht halb so ein Langweiler, wie Peter Brewster und Reginald Beasley hatten vermuten lassen. Gwyneira hatte ihm vorhin verraten, dass ihr Gatte die Porträts im Salon selbst gemalt hatte. Sie verkündete es mit Unsicherheit und fast mit ein wenig Spott in der Stimme, doch George betrachtete die Bilder durchaus mit Hochachtung. Er hätte sich selbst nicht als Kunstkenner bezeichnet, war in London aber häufig zu Vernissagen und Versteigerungen
    geladen gewesen. Ein Künstler wie Lucas Warden hätte dort sicher seine Anhängerschaft gefunden und wäre mit etwas Glück sogar zu Ruhm und Reichtum gelangt. George überlegte, ob sich die Mitnahme einiger Werke nach London lohnen könnte. Sicher ließen die Bilder sich dort verkaufen. Andererseits ging er damit das Risiko ein, es sich mit Gerald Warden zu verscherzen. Einen Künstler in der Familie wünschte der Alte sich bestimmt am allerwenigsten.
    An diesem Abend kam das Gespräch ohnehin nicht auf Kunst. Gerald belegte den Besucher aus England durchgehend mit Beschlag, trank dabei eine ganze Flasche Whiskey und schien gar nicht zu merken, dass Lucas sich so früh wie möglich verabschiedete. Gwyneira floh sogar gleich nach dem Essen, um das Kind zu Bett zu bringen. Eine Nanny beschäftigte man hier also nicht, was George seltsam fand. Schließlich hatte der Sohn des Hauses doch offensichtlich eine grundenglische Erziehung durchlaufen. Warum unterließ Gerald dies bei seiner Enkelin? Gefiel ihm das Ergebnis nicht? Oder lag es einfach daran, dass Fleurette »nur« ein Mädchen war?

    Am nächsten Morgen ergab sich ein umso ausführlicheres Gespräch mit dem jungen Ehepaar Warden. Gerald kam nicht zum Frühstück herunter – zumindest nicht zur gewohnten Zeit. Die gestrige Zecherei forderte ihren Tribut. Gwyneira und Lucas wirkten deshalb gleich gelöster. Lucas erkundigte sich nach dem Londoner Kulturleben und war offensichtlich hocherfreut, dass George mehr dazu zu sagen hatte als »erhebend« und »erbaulich«. Angesichts des Lobes für die Porträts schien er geradezu zu wachsen und lud den Besucher gleich in sein Atelier ein.
    »Sie können kommen, wann Sie möchten! Heute Morgen werden Sie sich die Farm ansehen, nehme ich an, aber am Nachmittag ...«
    George nickte unsicher. Den Ritt über die Farm hatte Gerald ihm versprochen, und George war sehr daran interessiert. Schließlich hieß es, dass sich alle anderen Betriebe auf der Südinsel an Kiward Station messen lassen mussten. Aber Gerald war nicht in Sicht ...
    »Oh, ich kann mit Ihnen reiten!«, bot Gwyneira spontan an, als George eine vorsichtige Bemerkung dazu machte. »Lucas natürlich auch ... aber ich bin gestern den ganzen Tag nicht aus dem Haus gekommen. Wenn meine Begleitung Ihnen also genehm wäre ...«
    »Wem wäre Ihre Begleitung nicht genehm?«, fragte George galant, auch wenn er sich von einem Ausritt mit der Lady nicht viel versprach. Eigentlich hatte er

Weitere Kostenlose Bücher