Im Land Der Weissen Wolke
gedeckt, Nachwuchs! Was klappt bei euch nicht, meine kleine Prinzessin? Wirst du nicht läufig, oder ...«
»Vater, wir wollen jetzt essen«, unterbrach Lucas ihn wie stets in gemessenen Worten. »Bitte beruhige dich, und beleidige Gwyneira nicht. Sie kann nichts dafür.«
»Also liegt es an dir, du ... perfekter Gentleman!« Gerald spie die Worte hervor. »Hast bei all der vornehmen Erziehung den Mumm verloren, was?«
»Gerald, nicht vor den Dienstboten«, sagte Gwyneira mit einem Seitenblick auf Kiri, die eben eintrat und den ersten Gang servieren wollte. Leichte Speisen, ein Salat. Gerald würde nicht viel davon essen. Umso schneller, hoffte Gwyneira, würde der Abend vorübergehen. Nach dem Dinner konnte sie sich zurückziehen.
Aber diesmal sorgte ausgerechnet die sonst so umgängliche und unproblematische Kiri für einen Zwischenfall. Das Mädchen hatte den ganzen Tag schon blass gewirkt und sah nun müde aus, als sie ihrer Herrschaft auflegte. Gwyneira wollte sie darauf ansprechen, ließ dann aber doch davon ab. Vertrauliche Gespräche mit Dienstboten gehörten zu den Dingen, die Gerald stets rügte. So ließ sie unkommentiert, dass Kiri ungeschickt und unaufmerksam servierte. Schließlich hatte jeder mal einen schlechten Tag.
Moana, inzwischen eine recht geschickte Köchin, wusste genau, was ihre Herrschaft wünschte. Sie kannte Gwyns und Lucas’ Vorlieben für leichte sommerliche Küche, wusste aber auch, dass Gerald auf mindestens einem Fleischgang bestand. Als Hauptgang wurde also Lamm aufgetragen – und Kiri wirkte noch erschöpfter und abgespannter als eben, als sie nun mit den Speisen hereinkam. Der aromatische Geruch des Bratens vermischte sich mit dem schweren Duft der Rosen, die Lucas vorhin im Garten geschnitten hatte. Gwyneira fand diesen Duftcocktail aufdringlich, fast Übelkeit erregend, und Kiri schien es genauso zu ergehen. Als sie Gerald eine Scheibe Lamm vorlegen wollte, schwankte sie plötzlich. Gwyn sprang erschrocken auf, als das Mädchen neben Geralds Stuhl zusammenbrach.
Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, ob es sich schickte oder nicht, kniete sie sich neben Kiri und schüttelte das Mädchen, während Lucas versuchte, die Scherben der Platte zu beseitigen und den Teppich notdürftig vom Fleischsaft zu reinigen. Witi, der das Ganze beobachtet hatte, half seinem Herrn und rief gleichzeitig nach Moana. Die Köchin eilte denn auch gleich herbei und kühlte Kiris Stirn mit einem in Eiswasser getränkten Lappen.
Gerald Warden beobachtete das Durcheinander missmutig. Seine ohnehin schon schlechte Laune wurde durch den Zwischenfall weiter getrübt. Verdammt, Kiward Station sollte ein hochherrschaftlicher Haushalt sein! Aber hatte man je davon gehört, dass in Londoner Herrenhäusern die Dienstmädchen umfielen und dann der halbe Haushalt, Herrin und junger Herr eingeschlossen, um sie herumwuselten wie Domestiken?
Dabei war es offensichtlich gar nicht schlimm. Kiri schien schon wieder zu sich zu kommen. Entsetzt blickte sie auf die Bescherung, die sie angerichtet hatte.
»Tut mir Leid, Mr. Gerald! Kommt nicht wieder vor, bestimmt nicht!« Ängstlich wandte sie sich an den Hausherrn, der sie ungnädig musterte. Witi wischte an Geralds mit Soße verschmiertem Anzug herum.
»Das war doch nicht deine Schuld, Kiri«, sagte Gwyn freundlich. »Bei diesem Wetter kann das vorkommen.«
»Ist nicht Wetter, Miss Gwyn. Ist Baby«, erklärte Moana. »Kiri kriegt Baby in Winter. Deshalb sich fühlt schlecht heute ganze Tag und kann nicht riechen Fleisch. Ich ihr sagen, sie nicht servieren, aber ...«
»Tut mir so Leid, Miss Gwyn ...«, jammerte Kiri.
Gwyneira dachte mit einem stummen Seufzer, dass dies nun wirklich der Höhepunkt dieses verpatzten Abends war. Musste dieses Unglücksgeschöpf ausgerechnet vor Gerald mit dieser Geschichte herausplatzen? Andererseits konnte Kiri wirklich nichts dafür, dass ihr schlecht geworden war. Gwyneira zwang sich, beruhigend zu lächeln.
»Aber das ist doch kein Grund, sich zu entschuldigen, Kiri!«, sagte sie freundlich. »Im Gegenteil, es ist ein Grund zur Freude. Aber in den nächsten Wochen musst du dich ein bisschen schonen. Jetzt geh heim, und leg dich hin. Witi und Moana werden das hier aufräumen ...«
Kiri verschwand unter tausend weiteren Entschuldigungen und knickste dabei mindestens dreimal vor Gerald. Gwyneira hoffte, das werde ihn beschwichtigen, doch seine Miene änderte sich nicht, und er machte auch keine Anstalten, das
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