Im Land Der Weissen Wolke
dran war.
»Es ist nicht wie du denkst, Großvater!«, bemühte Fleur sich zu versichern. »Wir ... also, wir ... äh, treiben es natürlich nicht miteinander, wir ...«
»Ach nein? Was dann?«, donnerte Gerald.
»Ich hab’s aber gesehen, ich hab’s aber gesehen!«, sang Paul.
Gwyneira gebot ihm mit strenger Stimme Schweigen.
»Wir ... wir lieben uns. Wir wollen heiraten«, stieß Fleur hervor. Jetzt hatte sie es wenigstens gesagt. Auch wenn dies sicher nicht die ideale Situation für diese Enthüllung war.
Gwyneira versuchte, die Lage zu entschärfen.
»Fleur, meine Süße, du bist noch keine sechzehn! Und Paul geht nächstes Jahr erst zur Universität ...«
»Ihr wollt was?«, brüllte Gerald. »Heiraten? Den Spross von diesem O’Keefe? Ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen, Fleurette?«
Fleur zuckte die Schultern. Feigheit konnte man ihr jedenfalls nicht vorwerfen. »Das sucht man sich nicht aus, Großvater. Wir lieben uns. Das ist so, und da kann man nichts dran ändern.«
»Das werden wir ja sehen, ob sich daran etwas ändern lässt!« Gerald sprang auf. »Du wirst den Kerl auf keinen Fall wiedersehen! Vorerst hast du Hausarrest! Schluss mit Schule – ich hab mich sowieso schon gefragt, was das O’Keefe-Weib dir noch beibringen soll! Ich reite jetzt nach Haldon und schnapp mir diesen O’Keefe! Witi! Bring mir meine Flinte!«
»Gerald, du übertreibst!« Gwyneira versuchte, ruhig zu bleiben. Vielleicht konnte sie Warden ja wenigstens davon überzeugen, die irrsinnige Idee aufzugeben, Ruben – oder Howard? – heute noch zu stellen. »Das Kind ist kaum sechzehn und zum ersten Mal verliebt. Da spricht doch noch keiner von Hochzeit ...«
»Das Kind erbt einen Teil von Kiward Station, Gwyneira! Da denkt der alte O’Keefe natürlich an Heirat. Aber das kläre ich jetzt ein für alle Mal! Und du sperrst die Kleine ein. Aber hurtig! Zu essen braucht sie nichts mehr, sie soll fasten und über ihre Sünden nachdenken!« Gerald ergriff seine Flinte, die der erschrockene Witi tatsächlich gebracht hatte, und schlüpfte in einen Wachsmantel. Dann stürmte er hinaus.
Fleurette machte Anstalten, ihm zu folgen. »Ich muss weg, Ruben warnen!«, stieß sie hervor.
Gwyneira schüttelte den Kopf. »Wo willst du denn ein Pferd hernehmen? Die Reitpferde sind alle im Stall, und eins von den Jungtieren ohne Sattel in den Busch reiten ... nein, das lasse ich nicht zu, Fleur, da brichst du dir den Hals und das Pferd mit. Ganz abgesehen davon, dass Gerald dich einholen würde. Lass die Kerle das unter sich regeln! Ich bin sicher, es kommt keiner zu Schaden. Wenn er auf den Alten trifft, werden sie sich anschreien, sich vielleicht die Nasen blutig schlagen ...«
»Und wenn er auf Ruben trifft?«, fragte Fleur mit bleichem Gesicht.
»Dann bringt er ihn um!«, freute sich Paul.
Das war ein Fehler. Jetzt konzentrierte sich die Aufmerksamkeit von Mutter und Tochter auf ihn.
»Du verräterischer kleiner Bastard!«, rief Fleurette. »Weißt du eigentlich, was du da angestellt hast, du miese Ratte? Wenn Ruben umkommt, dann ...«
»Fleurette, beruhige dich, dein Freund wird es schon überleben«, begütigte Gwyneira mit größerer Überzeugung, als sie tatsächlich besaß. Sie kannte Geralds aufbrausendes Temperament; außerdem war er wieder stark angetrunken. Allerdings hoffte sie auf Rubens ausgleichendes Wesen. Helens Sohn würde sich bestimmt nicht provozieren lassen. »Und du, Paul, verschwindest augenblicklich auf dein Zimmer. Ich will dich hier nicht wiedersehen, bis mindestens übermorgen. Du hast Hausarrest ...«
»Fleur auch, Fleur auch!« Paul konnte es nicht lassen.
»Das ist etwas ganz anderes, Paul«, sagte Gwyneira streng, und wieder einmal fiel es ihr schwer, auch nur einen Funken Sympathie für dieses Kind aufzubringen, das sie geboren hatte. »Großvater bestraft Fleur, weil er meint, dass sie sich in den falschen Jungen verliebt hat. Aber ich bestrafe dich, weil du boshaft bist, weil du Leute bespitzelst und verrätst – und daran auch noch Freude hast! So verhält sich kein Gentleman, Paul Warden. So verhält sich nur ein Ungeheuer!« Gwyneira wusste in dem Moment, in dem sie es aussprach, dass Paul ihr dieses Wort nie vergeben würde. Aber es ging mit ihr durch. Sie spürte nur noch Hass auf dieses Kind, das man ihr aufgezwungen hatte, das letztlich Ursache für Lucas’ Tod gewesen war und das nun alles tat, auch Fleurs Leben zu zerstören und die ohnehin schwankende Harmonie von
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