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Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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ihre Vorstellung vom Leben in einem Herrenhaus und der Erziehung ihres Sohnes zum Gentleman mochten ihn zwar fasziniert haben – aber letztlich sicher auch entmutigt. Gerald fehlte das Naturell eines Landedelmanns; er war ein Spieler, Haudegen und Glücksritter – und durchaus auch ein fähiger Farmer und Geschäftsmann. Der rücksichtsvolle »Gentleman«, mit dem Barbara eine Vernunftehe führte, nachdem sie ihrer wirklichen Liebe entsagen musste, war er nie und wollte er auch niemals sein. Die Begegnung mit Gwyneira musste ihm dann vor Augen geführt haben, nach welcher Frau er sich wirklich sehnte – und zweifellos hatte es ihn zur Weißglut getrieben, dass Lucas nichts mit ihr anzufangen wusste. Gwyneira war sich inzwischen sicher, dass Gerald etwas wie Liebe für sie empfunden haben musste, als er sie nach Kiward Station holte, und dass sich in jener furchtbaren Dezembernacht nicht nur sein Ärger über Lucas’ Unfähigkeit entladen hatte, sondern auch der jahrelange Zwang, für die Frau, die er begehrte, nichts als ein »Vater« zu sein.
    Inzwischen war Gwyn sich auch sicher, dass Gerald sein damaliges Vorgehen bereute, auch wenn nie ein Wort der Entschuldigung über seine Lippen kam. Sein immer unmäßigeres Trinken, seine Zurückhaltung und Nachsicht ihr gegenüber – und Paul gegenüber – sprachen für sich.
    Nun hob sie den Kopf von Papieren, die Schafzucht betreffend, und sah auf, als ihr Sohn hereinstürmte.
    »Hallo, Paul! Was hast du es denn so eilig?«, fragte sie lächelnd. Dabei fiel es ihr wie immer schwer, sich rückhaltlos über Pauls Heimkehr zu freuen. Ihr Friedensschluss mit Gerald war eine Sache, die Angelegenheit mit Paul eine andere. Sie schaffte es einfach nicht, den Jungen zu lieben. Nicht so, wie sie Fleur liebte, so selbstverständlich und bedingungslos. Wenn sie Paul gegenüber etwas empfinden wollte, musste sie stets ihren Verstand einschalten: Er sah gut aus mit seinem dunkelrot-braunen Wuschelhaar – Gwyneira hatte ihm nur die Farbe, nicht die Struktur vererbt. Statt Kräusellöckchen hatte sein Schopf die Fülle, die Geralds Haar auch heute noch auszeichnete. Sein Gesicht erinnerte an Lucas, allerdings hatte er entschlossenere, weniger weiche Züge, und die braunen Augen blickten klar und oft hart, nicht sanft und verträumt wie die seines Halbbruders. Er war klug, doch Pauls Begabungen lagen eher im mathematischen als im künstlerischen Bereich. Er würde sicher einmal ein guter Kaufmann. Und er war geschickt. Gerald hätte sich keinen besseren Erben für die Farm wünschen können. Gwyneira fand allerdings, dass es dem Jungen manchmal an Gefühl für die Tiere und vor allem die Menschen auf Kiward Station mangelte – wobei sie sich dieser Empfindungen schon wieder schalt. Sie wollte das Gute an Paul sehen, wollte ihn lieben, doch wenn sie ihn ansah, empfand sie nicht mehr, als sie beispielsweise für Tonga empfand: Ein netter Junge, klug und seinen späteren Aufgaben sicher gewachsen. Aber es war nicht die tiefe, herzzerreißende Liebe, die sie Fleurette entgegenbrachte.
    Sie hoffte nur, dass Paul diesen Mangel nicht bemerkte, und bemühte sich stets, besonders freundlich und langmütig zu sein. Auch jetzt verzieh sie ihm bereitwillig, dass er ohne Gruß an ihr vorbeiwollte.
    »Ist etwas passiert, Paul?«, fragte sie besorgt. »Hattest du Ärger in der Schule?« Gwyn wusste, dass Helen es nicht immer leicht mit Paul hatte, und kannte auch seine dauernde Rivalität mit Ruben und Tonga.
    »Nein, nichts. Ich muss Großvater sprechen, Mom. Wo kann er sein?« Paul hielt sich nicht mit Höflichkeiten auf.
    Gwyn sah auf die große Standuhr, die eine Wand des Arbeitszimmers beherrschte. Noch eine Stunde bis zum Abendessen. Gerald dürfte also mit dem Aperitif begonnen haben.
    »Da, wo er um diese Zeit immer ist«, bemerkte sie. »Im Salon. Und du weißt wohl, dass man ihn in dieser Stunde besser nicht anspricht. Vor allem nicht, wenn man ungewaschen und ungekämmt ist wie du. Wenn du meinen Rat hören willst: Geh erst in dein Zimmer, und zieh dich um, bevor du ihm vor Augen trittst.«
    Zwar nahm Gerald selbst das Umziehen vor dem Abendessen längst nicht mehr sonderlich ernst, und auch Gwyneira pflegte ihre Kleidung nur zu wechseln, wenn sie aus dem Stall kam. Das Nachmittagskleid, das sie heute trug, würde sie auch zum Essen anbehalten. Aber bei den Kindern konnte Gerald streng sein – genauer gesagt suchte er um diese Zeit des Tages nur einen Grund, mit irgendjemandem zu

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