Im Land Der Weissen Wolke
Und jetzt wälzte sie sich mit Sideblossom im Stroh?
Die Männer schienen zunächst unschlüssig, ob sie den Haupteingang oder die Küchentür nehmen sollten, um das Paar in der Scheune zu stellen, sodass für Sekunden Stille herrschte, in die das Geräusch der Küchentür drang: Fleurette schob sich in den Salon – und stand erschrocken ihrem Großvater und seinen Zechkumpanen gegenüber.
»Du kleines verruchtes Flittchen!« Gerald verpasste ihr die zweite Ohrfeige dieses Abends. »Wo hast du deinen Liebhaber, hm? Wo ist Johnny? Ein Teufelskerl ist er ja, dich hier halb vor meinen Augen ins Heu zu zerren! Aber so benimmt man sich nicht, Fleurette, so nicht!« Er stieß sie gegen die Brust, aber sie blieb auf den Beinen. Allerdings gelang es ihr nicht, die Fetzen ihrer Bluse weiter festzuhalten. Sie schluchzte auf, als der dünne Stoff ihre Brüste den Blicken aller Männer preisgab.
Immerhin schien der Anblick Gerald zu ernüchtern. Wäre er allein gewesen, hätte sich hier zwar sicher anderes gerührt als sein Schamgefühl, aber nun regte sich vor allem sein gesundes Geschäftsinteresse. Nach dieser Geschichte würde er Fleurette niemals an einen anständigen Mann loswerden. Sideblossom musste sie nehmen, und das hieß, dass ihre Würde halbwegs gewahrt bleiben musste.
»Bedeck dich jetzt, und geh in dein Zimmer!«, befahl er, während er den Blick abwandte. »Wir werden morgen deine Verlobung bekannt geben, und wenn ich den Kerl mit vorgehaltener Waffe vor den Traualtar zwingen muss. Und dich auch! Jetzt wird nicht weiter herumgezickt!«
Fleurette war zu erschrocken und erschöpft, um etwas zu antworten. Sie raffte ihre Bluse zusammen und floh die Treppe hinauf.
Gwyneira fand sie eine Stunde später, schluchzend und bibbernd unter ihrer Bettdecke. Gwyn selbst zitterte ebenfalls, allerdings eher vor Wut. Zunächst auf sich selbst, weil sie sich zuerst Sideblossom vorgenommen und dann die Pferde in Sicherheit gebracht hatte, statt Fleurette zu begleiten. Andererseits hätte das auch nicht viel gebracht. Die beiden Frauen hätten sich Geralds Ausbrüche bloß gemeinsam anhören können, statt in einstündigem Abstand. Denn die Männer hatten sich natürlich auch jetzt noch nicht zurückgezogen. John Sideblossom hatte sich nach Gwyns Standpauke im Stall zu ihnen gesellt und ihnen wer weiß was erzählt. Auf jeden Fall wartete Gerald nun bereits auf Gwyneira, um mehr oder weniger dieselben Vorwürfe und Drohungen auf sie niederprasseln zu lassen wie vorhin auf Fleur. An einer andersartigen Darstellung des Falles war er deutlich nicht interessiert, ebenso wenig wie seine »Zeugen«. Morgen, darauf bestand er, würden Fleur und John sich verloben.
»Und das ... das Schlimmste ist, er hat Recht ...«, stammelte Fleur. »Mir wird ... wird doch jetzt keiner mehr glauben. Die ... die erzählen das im ganzen Landkreis herum. Wenn ich jetzt Nein sage, vor dem ... dem Pfarrer, lachen sie mich aus.«
»Dann sollen sie doch lachen!«, meinte Gwyneira fest. »Du wirst diesen Sideblossom nicht heiraten, so wahr ich hier stehe!«
»Aber ... aber Großvater ist mein Vormund. Er wird mich zwingen.« Fleurette schluchzte.
Gwyneira fasste einen Entschluss. Fleur musste hier weg. Und sie würde nur gehen, wenn sie ihr die Wahrheit enthüllte.
»Hör zu, Fleur, Gerald Warden kann dich zu gar nichts zwingen. Er ist streng genommen auch nicht dein Vormund ...«
»Aber ...«
»Es gilt als dein Vormund, weil er als dein Großvater gilt. Das ist er aber nicht. Lucas Warden war nicht dein Vater.«
Jetzt war es heraus. Gwyneira biss sich auf die Lippen.
Fleurette blieb ihr Schluchzen im Hals stecken.
»Aber ...«
Gwyn setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm. »Hör zu, Fleur. Lucas, mein Mann, war ein guter Mensch. Aber er ... nun, er konnte keine Kinder zeugen. Wir haben es versucht, aber es hat nicht geklappt. Und dein Großva... und Gerald Warden machte uns das Leben zur Hölle, weil er keinen Erben für Kiward Station hatte. Und da habe ich ... da habe ich ...«
»Du hast meinen Vat... deinen Mann, wollte ich sagen, betrogen?« In Fleurettes Stimme lag Fassungslosigkeit.
Gwyn schüttelte den Kopf. »Nicht mit dem Herzen, wenn du verstehst. Nur um ein Kind zu bekommen. Danach war ich ihm immer treu.«
Fleurette runzelte die Stirn. Gwyn sah geradezu, wie es in ihrem Kopf arbeitete.
»Und woher kommt dann Paul?«, fragte sie schließlich.
Gwyn schloss die Augen. Nicht auch das noch ...
»Paul ist ein Warden«,
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