Im Land Der Weissen Wolke
Seen auf ihre Entdecker warteten. Übermütig lenkte Fleurette ihre Stute immer weiter auf die Berge zu. Sie hatte Zeit. Vielleicht fand sie ja Gold! Allerdings hatte sie keine Ahnung, wo man am besten danach suchte. Eine genauere Betrachtung der eiskalten Bergbäche, aus denen sie trank und in denen sie sich schaudernd einer Katzenwäsche unterzog, hatte jedenfalls keine Nuggets offenbart. Dafür hatte sie Fische gefangen und sich nach drei Tagen getraut, ein Feuer zu machen und sie zu braten. Anfangs war sie zu verängstigt gewesen und hatte ständig mit dem Auftauchen von Sideblossoms Männern gerechnet. Inzwischen aber neigte sie der Ansicht ihrer Mutter zu: Das Land war viel zu groß, um es zu durchsuchen. Ihre Verfolger würden nicht wissen, wo sie anfangen sollten, und inzwischen hatte es auch geregnet. Selbst wenn die Verfolger Suchhunde einsetzten – und zumindest auf Kiward Station gab es keine geeigneten Tiere –, war die Spur längst ausgewaschen und kalt.
Inzwischen bewegte Fleur sich ganz selbstverständlich im Hochland. Sie hatte oft genug mit gleichaltrigen Maori-Kindern gespielt und ihre Freunde in deren Dörfern besucht. Deshalb wusste sie genau, wo sie essbare Wurzeln fand, wie man Mehl zu Takakau verknetete und buk, Fische fing und Feuer entfachte. Sie hinterließ auch kaum Spuren ihrer Anwesenheit. Erkaltete Feuerstellen bedeckte sie sorgfältig mit Erde, und Abfälle vergrub sie. Ganz sicher folgte ihr niemand. In ein paar Tagen würde sie sich nach Osten zum Lake Wakatipu wenden, wo Queenstown lag.
Wenn sie das Abenteuer nur nicht ganz allein zu bestehen hätte! Nach fast zwei Wochen Ritt fühlte Fleur sich einsam. Es war schön, sich nachts an Gracie zu schmiegen, doch viel mehr sehnte sie sich nach menschlicher Gesellschaft.
Dabei schien sie nicht die Einzige zu sein, die Vertreter ihrer eigenen Art vermisste. Auch Niniane wieherte manchmal verloren in die Weite, obwohl sie Fleurettes Hilfen brav folgte.
Letztlich aber war es Gracie, die Gesellschaft fand. Die kleine Hündin war vorangelaufen, während Niniane sich einen steinigen Pfad entlangtastete. Fleurette musste sich ebenfalls auf den Weg konzentrieren, und so schaute sie völlig verblüfft, als sie hinter einem Felsen, wo das steinige Land wieder in eine grasbewachsene Ebene auslief, zwei dreifarbige Hunde miteinander spielen sah. Fleurette glaubte zunächst an eine Sinnestäuschung. Doch wenn sie Gracie plötzlich doppelt gesehen hätte, müssten die Hunde sich doch im Gleichklang bewegen! Stattdessen sprangen die beiden einander an, hetzten hintereinander her und genossen offensichtlich das Zusammensein. Und sie sahen sich ähnlich wie ein Ei dem anderen!
Fleurette ritt näher heran, um Gracie zu sich zu rufen. Dabei stellte sie nun doch Unterschiede zwischen den Hündinnen fest. Die neue war etwas größer als Grace, ihre Nase etwas länger. Aber sie war ein reinrassiger Border Collie, da gab es keinen Zweifel. Wo mochte sie hingehören? Border Collies, da war Fleur sicher, streunten nicht und jagten nicht. Ohne ihre Besitzer würden sie sich nicht so weit ins Hochland begeben. Außerdem machte dieses Tier einen gepflegten Eindruck.
»Friday!« Eine Männerstimme. »Friday, wo bleibst du? Es wird Zeit, sie einzutreiben!«
Fleur sah sich um, konnte den Rufenden aber nicht erkennen. Friday, die Hündin, wandte sich nach Westen, wo die Ebene sich scheinbar endlos dehnte. Aber dann hätte man ihren Herrn eigentlich sehen müssen. Fleur erschien das merkwürdig. Friday ihrerseits schien sich nur ungern von Gracie zu trennen. Dann aber nahm Gracie plötzlich Witterung auf, schaute sich mit leuchtenden Augen nach Fleurette und ihrem Pferd um – und gleich darauf setzten beide Hunde sich wie von unsichtbaren Fäden gezogen in Bewegung.
Fleur folgte ihnen scheinbar ins Nichts, erkannte aber rasch, dass sie einer optischen Täuschung aufgesessen war. Das Grasland reichte hier nicht bis zum Horizont, sondern fiel in Terrassen ab. Friday und Gracie eilten sie herunter. Dann erkannte auch Fleur, was die Hunde so magisch anzog. Auf der untersten, jetzt gut einsehbaren Terrasse grasten vielleicht fünfzig Schafe, gehütet von einem Mann, der ein Maultier am Zügel führte. Als er Friday mit Grace im Schlepptau kommen sah, blickte er genauso verwirrt wie Fleur – um dann misstrauisch in die Richtung zu schauen, aus der die Hündin gekommen war. Fleurette ließ Niniane die Terrassen herabspringen. Sie war eher neugierig als ängstlich.
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