Im Land Der Weissen Wolke
gewusst.
»Aber heute könnt ihr mir helfen«, erklärte sie stattdessen. »Ihr könnt mir zeigen, wie es geht.«
»Wie was geht?«, fragte das Mädchen.
»Melken. Das mit der Kuh«, seufzte Helen.
»Du nicht wissen wie melken?« Erneutes Gekicher.
»Was du dann machen hier?«, erkundigte sich der Junge grinsend. »Stehlen Eier?«
Helen musste lachen. Der Kleine hatte es faustdick hinter den Ohren. Aber man konnte ihm nicht böse sein. Helen fand die beiden Kinder süß.
»Ich bin die neue Mrs. O’Keefe«, stellte sie sich vor. »Mr. Howard und ich haben in Christchurch geheiratet.«
»Mr. Howard heiraten wahine , die nicht kann melken?«
»Nun, ich habe andere Qualitäten«, sagte Helen lachend. »Zum Beispiel kann ich Bonbons kochen.« Das konnte sie wirklich; es war stets das letzte Mittel gewesen, ihre Brüder zu etwas zu überreden. Und Howard hatte Sirup im Haus. Mit den anderen Zutaten würde sie improvisieren müssen, aber jetzt musste sie die beiden erst mal in den Kuhstall locken. »Natürlich nur für brave Kinder!«
Den beiden Maoris schien der Begriff »brav« nicht viel zu bedeuten, aber das Wort »Bonbons« kannten sie. Der Handel war insofern schnell geschlossen. Helen erfuhr nun auch, dass die Kinder Rongo Rongo und Reti hießen und aus einem Maori-Dorf weiter unten am Fluss stammten. Die beiden molken die Kuh in Windeseile, fanden Eier an Stellen, an denen Helen gar nicht erst gesucht hatte, und folgten ihr dann neugierig ins Haus. Da das Einkochen des Sirups für Bonbons Stunden gedauert hätte, beschloss Helen, den Kindern Sirup-Pfannkuchen zu servieren. Die beiden beobachteten fasziniert, wie sie den Teig anrührte und in der Pfanne wendete.
»Wie takakau , Fladenbrot!«, erklärte Rongo.
Helen sah ihre Chance. »Kannst du das machen, Rongo? Fladenbrot, meine ich? Und zeigst du mir, wie es geht?«
Eigentlich ging es ganz leicht. Viel mehr als Getreide und Wasser waren nicht dazu nötig. Helen hoffte, dass es Howards Anforderungen genügen würde, aber zumindest war es etwas zu essen. Essbares fand sich zu ihrer Verwunderung auch in dem vernachlässigten Garten hinter dem Haus. Helen hatte bei der ersten Inspektion nichts entdecken können, was ihrer Vorstellung von Gemüse entsprach, doch Rongo und Reti buddelten nur ein paar Minuten und hielten ihr dann stolz ein paar undefinierbare Wurzeln entgegen. Helen verkochte sie zu einem Eintopf, der erstaunlich gut schmeckte.
Am Nachmittag putzte sie das Zimmer, während Rongo und Reti ihre Mitgift inspizierten. Besondere Aufmerksamkeit erweckten dabei die Bücher.
»Das ist Zauberding!«, meinte Reti gewichtig. »Fass nicht an, Rongo, sonst du aufgefressen!«
Helen lachte. »Wie kommst du denn darauf, Reti? Das sind nur Bücher, da stehen Geschichten drin. Sie sind nicht gefährlich. Wenn wir hier fertig sind, kann ich euch etwas vorlesen.«
»Aber Geschichten sind in Kopf von kuia «, meinte Rongo. »Von Geschichtenerzähler.«
»Nun, wenn jemand schreiben kann, fließen die Geschichten aus dem Kopf durch den Arm und die Hand in ein Buch«, sagte Helen, »und das kann dann jeder lesen, nicht nur der, dem der kuia die Geschichte erzählt.«
»Magie!«, folgerte Reti.
Helen schüttelte den Kopf. »Aber nein. Sieh mal, so schreibt man deinen Namen.« Sie nahm ein Blatt von ihrem Briefpapier und brachte erst Retis und dann Rongos Namen zu Papier. Die Kinder verfolgten es mit aufgesperrten Mündern.
»Seht ihr, jetzt könnt ihr eure Namen lesen. Und so kann man auch alles andere aufschreiben. Alles, was man sagen kann.«
»Aber dann man hat Macht!«, erklärte Reti gewichtig. »Geschichtenerzähler hat Macht!«
Helen lachte. »Ja. Wisst ihr was? Ich bringe euch das Lesen bei. Dafür zeigt ihr mir, wie man die Kuh melkt und was im Garten alles so wächst. Ich werde Mr. Howard fragen, ob es Bücher in eurer Sprache gibt. Ich lerne Maori, und ihr lernt besser Englisch.«
5
Gerald sollte Recht behalten. Gwyneiras Hochzeit wurde das glänzendste gesellschaftliche Ereignis, das die Canterbury Plains je erlebt hatten. Schon Tage zuvor trafen Gäste von abgelegenen Farmen und selbst aus der Division in Dunedin ein. Halb Christchurch war sowieso zugegen. Die Gästezimmer auf Kiward Station waren schnell überfüllt, doch Gerald ließ Zelte rund um das Haus aufstellen, sodass jeder einen komfortablen Platz zum Schlafen fand. Er engagierte den Koch des Hotels in Christchurch, um den Gästen eine gewohnte und zugleich erlesene Küche bieten
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