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Im Land des Falkengottes. Amenophis

Im Land des Falkengottes. Amenophis

Titel: Im Land des Falkengottes. Amenophis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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gebückt oder gekrümmt war. Wie der ganze Schädel war das Gesicht hager, ja ausgezehrt. Die Lippen waren schmal und farblos, und wenn Eje lachte, gaben sie den Blick frei auf eine erstaunlich große Zahl von leidlich gesunden Zähnen. Aus dem Gesicht ragte eine kräftige, fleischige Nase hervor, die früher, als der Pharao noch fülliger gewesen sein mochte, vielleicht nicht so sehr aufgefallen war. Die Augen waren klein, und sie verschwanden beinahe völlig in dem schwarzgrünen Band der Schminke, das sie umgab und das bis an die Schläfen reichte. Über dunklen, säuberlich gestutzten und dadurch jugendlich wirkenden Augenbrauen wölbte sich eine von unzähligen Falten durchfurchte Stirn, die bald unter dem Goldreif, der das Kopftuch Pharaos hielt, verschwand. Am vorderen Rand dieses Diadems ragten aus reinem Gold die Beschützer Pharaos empor, Uto und Nechbet, Kobra und Geier.
    Langsam wie eine Schildkröte drehte Eje seinen Kopf zuNacht-Min. Er wollte den Jungen fragen, ob die Paviane gut und nach der Natur getroffen waren. Aber jetzt, wo sich ihre Blicke im Schein der Fackel begegneten und Eje ahnte, dass ihn der Junge genau gemustert hatte, sagte er:
    «Du hast gesehen, wie alt ich bin. Nun wirst du Verständnis dafür haben, wenn ich mich in meinem Grab ein wenig umsehe.»
    Nacht-Min sah verlegen zu Boden.
    Ohne Eile und mit einer Sorgfalt, die den Jungen ungeduldig werden ließ – wussten doch die Wächter nicht, was in dem Grab vor sich ging   –, ließ sich Pharao Bild für Bild der Grabkammer beschreiben. Den langen Spruch des Totenbuchs, der die südliche Wand zierte, musste der Junge vorlesen.
    «Ist die Fackel bald abgebrannt?», fragte Eje leise.
    «Ja, Majestät. Bald.»
    «Dann lass uns gehen.»
    Kurz bevor die beiden die letzte Treppe vor dem Ausgang erreicht hatten, nahm Nacht-Min allen Mut zusammen, um Pharao die Frage zu stellen, die ihn während all der Zeit im Grab gequält hatte. «Darf ich Euch etwas fragen, Majestät?»
    «Ja», brummte der alte Mann vor sich hin, denn er befürchtete, dass ihn der Junge, wie alle Untertanen seines Landes, um eine Gunst bitten würde.
    «Warum habt Ihr ausgerechnet mir befohlen, Euch in das Grab zu führen, und nicht dem Vorsteher der Arbeiten, der mit allem viel besser vertraut ist?»
    «Er hätte mir alles Mögliche erzählen können, Nacht-Min. Und ich hätte ihm einfach glauben müssen. Er kennt meine Pläne und meine Anweisungen, und er hätte somit genau gewusst, was ich hören wollte. Du kanntest das Grab nicht und konntest mir deshalb nur sagen, was du wirklich sahst. Und da es mit dem übereinstimmte, was ich angeordnet hatte, bin ich zufrieden.»
    Als sie zurück ins Tageslicht traten, herrschte unter den Wächtern große Erleichterung, denn in der Tat hatten sie schon beraten, ob einer von ihnen in das Grab gehen und nach dem Herrscher sehen sollte.
    «Ich will dich auch etwas fragen», sagte Eje zu dem Jungen, als er in seiner Sänfte saß und die Hände wieder auf dem Rand der Seitenwände ruhten. Er wollte dem Jungen und seiner Familie wirklich eine Gunst erweisen.
    «Wie heißen deine Eltern?»
    «Mein Vater heißt Meriamun und meine Mutter Inena, Majestät.»
    «Inena», wiederholte Eje leise, schloss die Augen und senkte nachdenklich den Kopf. Er schwieg lange, und viele Bilder aus seiner Jugend stiegen empor, Bilder, die längst vergessen waren. Gewiss, vieles war sehr ungenau und kaum wiederzuerkennen oder einzuordnen.
    Eje tat jetzt etwas, das keiner der Anwesenden verstand. Mit dem fröhlichsten Gesichtsausdruck seit langem befahl er dem Jungen, ihn für einige Tage in den Palast zu begleiten. Er schickte einen Offizier in die Arbeitersiedlung, um Nacht-Mins Eltern zu verständigen, und gab Befehl zum Abmarsch.
    Der Junge war aufgeregt und verwirrt, glücklich und verzweifelt zugleich, hatte er doch keine Vorstellung davon, was Pharao von ihm erwartete.
    Eje aber wollte nur, dass ihm ein aufmerksamer und unvoreingenommener Mensch zuhörte.
    Mehr nicht.
    Ja, unvoreingenommen musste er sein, sonst hätte es keinen Sinn gehabt, dass ihm der alte Mann alles, was er von seinem Leben noch wusste, erzählte.

EINS
    Gott schuf die Menschen mit den Tränen seines Auges.
     
    M ein Vater Juja war eine stattliche Erscheinung, groß gewachsen, er hatte breite Schultern und große, kräftige Hände. Aus seinem Gesicht ragte eine lange Nase, die krumm war wie der Schnabel eines Adlers. Seine Backenknochen standen weit hervor, sein Mund mit den

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