Im Land des Falkengottes. Amenophis
kam sein älterer Bruder auf mich zu, griff mit beiden Armen um meine Schultern und hob mich hoch. «Ich möchte mich bei dir für meinen Bruder entschuldigen.» Er reichte mir seine Hand und sagte weiter: «Komm mit, Eje! Du brauchst einen trockenen Schurz.»
Ich wusste nicht wie mir geschah.
Ich spürte, wie einige meiner Mitschüler wie vom Donner gerührt dastanden und derart fassungslos waren, dass sie die tiefe Verneigung vergaßen, während Prinz Amenophis mit mir den Platz verließ, einigen anderen stand der blanke Neid in den Gesichtern. Selbst mein Vater verlor ein wenig die Orientierung, wollte noch irgendetwas sagen und ließ es dann kopfschüttelnd bleiben.
Wir beide verschwanden in den Palast, ließen den Eingang zum Unterrichtssaal rechts liegen und betraten eine Halle, die von Säulen gerahmt und nach oben hin in der Mitte über einem Teich offen war. Die Säulen stellten am Ende offene Papyrusstauden dar und waren in dunklem Rot und oben, unter dem Dach, in sattem Grün gestrichen. Die Grundfarbe der Wände, hinter den Säulen in Felder eingeteilt, war ein kräftiges Ocker. Die einzelnen Bilder zeigten Szenen von Jagden des Pharao: Einmal stand er auf seinem Streitwagen, in der Linken die Zügel fest in der Hand, während die Rechte gerade ausholte, um einen Speer nach einem Löwen zu schleudern,der vor dem Wagen auf dem Rücken lag und mit seinen Pranken um sich schlug. Der König trug den blauen Kriegshelm, den Chepresch, einen goldenen Halskragen und einen kostbaren weißen Schurz mit vielen Falten. Im Vorübergehen erkannte ich auf einem anderen Bild den Guten Gott und einige seiner Krieger mit langen Harpunen auf Booten stehend, vor und neben ihnen eine Vielzahl von Flusspferden, die sie jagten.
Zum Innenhof hin schwebten zwischen den Säulen weiße, fast durchsichtige Vorhänge. Deren schwache Schatten verliehen den Bildern – verursacht durch einen leichten Windhauch – eine wunderbar magische Bewegung. Kaum, dass ich dies alles wahrnahm, verließen wir diesen Saal auch schon wieder und gelangten in einen sicher dreißig Ellen langen, nach oben offenen Gang. Er war so breit, dass in seiner Mitte noch Platz für ein ebenso langes, vier Ellen breites Wasserbecken war. Rechts und links des Ganges führten kostbar geschnitzte Türen aus Zedernholz in die anliegenden Räume. Durch eine dieser Türen verschwanden wir in ein nicht sehr großes Zimmer, an dessen weißen, schmucklosen Wänden einige offene Schränke standen, an denen sich nubische Dienerinnen zu schaffen machten. Aus geflochtenen Körben nahmen sie Wäschestücke und schichteten diese gewissenhaft in die Schränke. Als Prinz Amenophis den Raum betrat, fielen die Dienerinnen nieder und berührten mit der Stirn solange den Boden, bis sie vom Prinzen mit den Worten «Erhebt euch!» die Erlaubnis erhielten, sich wieder aufzurichten. Das waren seine ersten Worte, seit wir den Schulhof verlassen hatten.
«Meinem Freund Eje ist ein Ungeschick passiert. Er braucht einen trockenen Schurz!», befahl er in knappen Worten.
Sogleich hastete eine der Nubierinnen an einen Schrank, holte einen Schurz hervor, und auf einen Fingerzeig des Prinzen hin überreichte sie ihn mir. Ohne weitere Aufforderungdrehten sich die Dienerinnen um, sodass ich mich umziehen konnte.
Prinz Amenophis wandte sich an mich. «Gib ihr das nasse Kleidungsstück. Du erhältst es gereinigt zurück.»
Mir war dies alles eher unangenehm, ich wagte aber keinen Widerspruch, denn schon nahm er mir den nassen Schurz vom Arm und warf ihn einer der Nubierinnen hin. Zu mir gewandt befahl er nur knapp: «Komm!» und machte kehrt.
Ich hatte tausend Fragen auf dem Herzen. Mussten die Dienerinnen wirklich jeden Befehl ausführen, den er gab, und waren sie Tag und Nacht für ihn da? Konnte er jede Speise bestellen, auf die er gerade Appetit hatte? Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte, da erlöste er mich von meiner Neugier: «Ja, sie sind alle meine Dienerinnen. Sie sind für meine Körperpflege zuständig, für die Ordnung in meinen Räumen und, wie du siehst, für meine Kleider. Aber du hast nur einen Teil von ihnen gesehen. Insgesamt hat mir mein Vater sechs Diener und zehn Dienerinnen zur Verfügung gestellt.»
Inzwischen waren wir wieder in dem Saal mit den Jagdbildern angelangt. Auf der gegenüberliegenden Seite erkannte ich jetzt die Darstellung einer Vogeljagd. Der Pharao, wieder mit blauem Chepresch, stand mit seinen Begleitern im Papyrusdickicht und schoss einen
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