Im Land des Falkengottes. Amenophis
war kaum ausgesprochen, da rannen mir Freudentränen über die Wangen. Es gab kein Halten mehr: Ich lief ihm entgegen, sprang in die Höhe und wurde von ihm so fest umarmt wie noch nie.
Endlich im Palast! Endlich nicht mehr auf die spärlichen Auskünfte Tejes, auf heimliches Lauschen angewiesen sein!
Ich wurde von meinem Vater noch eine ganze Weile eingehend ermahnt und belehrt, wie ich mich zu benehmen hätte. Begegnete ich dem Prinzen Amenophis, so hätte ich mich tief zu verneigen und in dieser Stellung so lange auszuharren, bis er mir gestattete, mich wieder zu erheben. Vor den übrigen Prinzen und der Prinzessin müsste ich mich ebenfalls tief verneigen, dürfte mich aber nach angemessener Zeit von allein aufrichten. Andere Mitschüler gleichen Ranges müsste ich freundlich grüßen. Sollte allerdings – was mein Vater jedoch selbst gleich wieder ausschloss – sollte aber der Gute Gott selbst erscheinen, müsste ich mich sofort zu Boden werfen,und ich dürfte es nicht wagen, ihm ins Angesicht zu sehen, selbst wenn er sich herablassen würde, mich direkt anzusprechen. Was natürlich ohnehin niemals geschehen würde.
In dieser Nacht schlief ich nur wenig und war am nächsten Morgen der Erste, der angekleidet und abmarschbereit in der Vorhalle unseres Hauses stand.
Meine Schwester Teje zeigte natürlich kein Verständnis für meine Aufgeregtheit und gab sich derart herablassend, dass es den Anschein hatte, als würde sie in der Sänfte jeden Augenblick einschlafen.
Je näher wir dem Großen Haus kamen, um so lebendiger wurde es auf den Straßen. Ich sah hohe ägyptische Beamte und Würdenträger und seltsame Erscheinungen ausländischer Herkunft mit schwarzen, bis auf die Brust reichenden Bärten, zotteligen Haaren und langen dunklen Gewändern. Große Karren mit Getreide, Melonen, Gemüse oder Weinkrügen fuhren zum Palast. Sänften mit zum Teil geschlossenen Vorhängen wurden in alle Richtungen getragen.
Den Palast umgab eine etwa zwanzig Ellen hohe weiße Mauer ohne jede Öffnung. An einer mächtigen Toreinfahrt standen Soldaten der Leibwache des Guten Gottes und befragten diejenigen, die sie nicht von Angesicht her kannten.
Mein Vater wurde militärisch gegrüßt, indem die Soldaten ihren Speer nahe an den Körper heranzogen. Wir konnten ohne weitere Kontrolle das Tor passieren.
Vor uns lag ein gepflasterter Hof, auf dem das Treiben weiterging. Verschiedene Gruppen von Soldaten zu sechs oder acht Mann marschierten in die eine oder andere Richtung, ebenso verteilten sich die Karren dahin und dorthin, bis sie in einem der Gebäude verschwanden. Unser Weg führte nach rechts durch einen Säulengang, welcher nach hundert Ellen in einem geschlossenen Garten mündete.
Hier war es plötzlich viel ruhiger. Es gab Teiche, die mitprächtigen Lotosblüten übersät waren, große Beete, mit Blumen und Sträuchern geradezu überladen, Sykomoren, so hoch wie die Palastmauern, und Palmen, die diese sogar noch überragten.
Auf den peinlich gepflegten Kieswegen stolzierten Flamingos und Kraniche, und da und dort kroch eine Schildkröte. Die Gebäude um diesen Garten herum hatten nur kleine Fensteröffnungen. Aus einigen erklang leises, gleichmäßiges Harfenspiel, aus manchem Fenster die Stimme einer Sängerin oder das Schimpfen einer verärgerten Hofdame.
Schließlich waren wir am Ende des Gartens angelangt. Während wir ausstiegen, hörte ich ein Gewirr von Kinderstimmen. Unzweifelhaft waren wir am Ziel. Der Unterrichtsraum war angenehm groß, vielleicht vierzig Ellen lang und zwanzig Ellen breit. Auf dem Marmorfußboden lagen gleichmäßig verteilt Sitzkissen, und davor standen niedrige Holztische mit Schreibwerkzeug darauf: Eine Schale mit zwei kleinen Vertiefungen, in welchen sich schwarze und rote Farbe befand, und mit einer länglichen Einkerbung für die Schreibbinsen; daneben lagen zwei unbeschriebene Papyrusblätter.
Als mein Vater, gefolgt von Teje und mir, den Raum betrat, wurde es still. Die zwölf anwesenden Kinder und Teje setzten sich, wobei sie vier Kissen ganz vorne und eines ganz hinten frei ließen. Mit nur wenigen Worten teilte mein Vater den Anwesenden mit, dass ich Eje hieß und ab heute ebenfalls Unterricht erhielt. Sodann befahl er mir, auf dem Kissen in der letzten Reihe Platz zu nehmen.
Plötzlich war es völlig still, und ich hörte leise Schritte, die näher kamen. Zuerst betrat ein etwa dreizehnjähriger Junge den Raum, mit Prinzenlocke, goldenem Halskragen, Sandalen und einer
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