Im Land des Falkengottes. Amenophis
wulstigen Lippen war breit und zeigte stets ein freundliches Lächeln. Sein dichtes, kräftiges Haar fiel in hellbraunen Locken herab, sodass er nur zu offiziellen Anlässen oder zu Festlichkeiten eine Perücke trug.
Seine Kleidung war immer auf das Peinlichste gepflegt, wenn sie auch einfach und unaufdringlich war. Auf den ersten Blick mochte man ihn eher für einen Bauern halten als für einen ägyptischen Fürsten. Vater war ein von Grund auf ehrlicher Mensch, doch ungefragt meldete er sich selten zu Wort. Meist behielt er seine Gedanken für sich.
Ich glaube, das nennt man weise.
Meine Mutter Tuja war anders.
In jungen Jahren war sie eine sehr schöne Frau von gleichmäßiger, schlanker Gestalt mit fast schwarzen Augen, immer kunstvoll geschminkt, gekleidet mit den teuersten Gewändernund stets angetan mit der neuesten Perücke. Auch sie war eine sehr umsichtige Frau. Aber anders als mein Vater achtete sie darauf, dass unsere Familie stets den Platz einnahm, der ihr gebührte.
Der Fleiß, die Korrektheit und die Ehrlichkeit meines Vaters einerseits und das einnehmende Wesen und der Ehrgeiz meiner Mutter andererseits waren schließlich der Grund dafür, dass mein Vater zusehends wichtigere Ämter besetzte und dem königlichen Thron näher rückte. Aus der Sicht meiner Mutter war das nicht sehr schwierig, zumal ihre Schwester Mutemwia eine Gemahlin von Prinz Thutmosis war. So zogen meine Eltern nach ihrer Heirat von Achmim, wo mein Vater Oberster Priester des Min und Bürgermeister gewesen war, nach Men-nefer.
Dies war im vierundzwanzigsten Jahr der Regierung des Guten Gottes Amenophis Aa-chepru-Re, dem Jahr, in welchem meine Schwester Teje geboren wurde. Im gleichen Jahr gebar auch Mutemwia, die Schwester meiner Mutter, ihren ersten Sohn, der wie sein königlicher Großvater Amenophis hieß.
Meine Eltern bewohnten zu dieser Zeit bereits einen Palast in Men-nefer, denn mein Vater war Vorsteher der Ställe Seiner Majestät. Bald darauf wurde er zum Hauslehrer des Prinzen Amenophis ernannt.
Sein täglicher Weg in das Große Haus, den königlichen Palast, war nicht weit. Als Vater dieses Amt antrat, war ich drei Jahre alt, und jeden Tag bewunderte ich ihn und staunte, wenn er morgens erschien und sein bescheidenes Mahl einnahm, danach die ihm gebührenden Insignien anlegte, seine Sänfte bestieg und zum Palast des Guten Gottes getragen wurde. Natürlich befragte ich meinen Vater auf das Genaueste über alles, was er im Großen Haus erlebte und sah. Ich bekam zwar nicht auf alle Fragen eine Antwort, aber dank meines ausgeprägt guten Gehörs erlauschte ich mir so manches ausden Gesprächen meiner Eltern, sodass ich über erstaunliche Erkenntnisse verfügte. Von meinem Vater wusste ich, dass der Gute Gott wegen seines vorgerückten Alters zum Gehen bereits einen Stock benutzte, dass der Sandalenträger zur Rechten des Königs fast vier Ellen groß und das Lieblingstier des Prinzen Amenophis eine schwarze Katze aus Bubastis war. Meinem guten Gehör verdankte ich außerdem die Kenntnis, dass der Gute Gott zwischenzeitlich sehr krank war, bald sterben musste und so Osiris werden würde. Man hatte schon damit begonnen, im Tal westlich von Waset, dort wo die Herrscher unseres Landes ihre letzte Ruhestätte finden, für die Beisetzung letzte Vorkehrungen zu treffen.
Wir alle wussten um das baldige Ende Pharaos, doch als Amenophis Aa-chepru-Re, der mächtige Feldherr und Krieger, tot war, ging ein schreckliches Wehklagen durch das ganze Land. Die Frauen stimmten ihre traurigen Gesänge an, die Männer blieben fortan unrasiert, und überall herrschte ein aufgeregtes Treiben. Das alles änderte sich erst nach der Bestattung des Guten Gottes, der nun Osiris geworden war, und der Thronbesteigung des neuen Horus: Prinz Thutmosis gab sich den Thronnamen Men-chepru-Re.
Schon wenige Wochen später erhielt Vater von Pharao Thutmosis die Erlaubnis, meine Schwester Teje mit in den Palast zu bringen, damit sie dort gemeinsam mit Prinz Amenophis und anderen Kindern hoher Herkunft unterrichtet wurde. Dies war freilich kein Zufall, sondern beruhte darauf, dass meine Familie jetzt dem Königsthron sehr nahe stand. Denn obwohl kaum damit zu rechnen gewesen war, wurde Thutmosis als der drittgeborene Sohn des verstorbenen Pharaos Herrscher über unser Land, und die Schwester meiner Mutter, Mutemwia, war ja eine seiner Gemahlinnen.
Teje war ab diesem Zeitpunkt kaum mehr zu ertragen. Alswäre sie selbst eine Prinzessin, bestieg sie
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