Im Land des Falkengottes. Echnaton
sehr verwundert, als er mich erneut zu dieser Unzeit am Ufer antraf. Ich erklärte ihm, dass ich auf geheimen Befehl Pharaos unterwegs sei, und befahl ihm unter Androhungstrengster Strafe, dass seine Fähre so lange am westlichen Ufer zu verweilen hatte, bis ich zurückgekehrt war. Ich verließ das Schiff und fuhr weiter zum Tempel. Wieder ließ ich Pferd und Wagen am Fuß der gewaltigen Auffahrt stehen und schlich einige Stufen hinauf, um mich dort im Schutze der rechten Brüstung niederzukauern. Wieder dämmerte es, und wieder bescherte mir Aton ein ähnlich erhebendes Erlebnis seines Erwachens wie am Vortag. Doch es war weit und breit kein Mensch zu sehen.
Das helle, fast metallisch klingende Klicken zweier aneinander stoßender Steine ließ mich zusammenfahren und hellwach werden. Aber ich sah nichts. Mein Herz raste vor Aufregung, und ständig erschienen jetzt abwechselnd Bilder von Toten vor meinen Augen, jener Toten, die Opfer Amuns geworden waren. Ich griff nach meinem Dolch und zog ihn lautlos aus der Scheide. Auf allen vieren kriechend schlich ich mich Treppe für Treppe nach oben. Als ich den oberen Rand der Rampe erreicht hatte, überblickte ich vorsichtig die große Terrasse, welche die nächste Auffahrt umgab. Rechts und links standen noch die kümmerlichen Reste der Weihrauchsträucher, die Maat-ka-Re einst von Punt in der Hoffnung hierher bringen ließ, um von den Weihrauchlieferungen aus dem Ausland unabhängig zu werden. Obwohl die Ernte von diesen Sträuchern immer völlig unbedeutend blieb, wehte jetzt in der ersten wärmenden Morgensonne ein herrlich würziger Duft von ihnen zu mir herüber und ließ mich für kurze Zeit vergessen, weswegen ich hierher gekommen war.
Diesmal war es der gellende Aufschrei eines Jungfalken, der mich beinahe um den Verstand brachte. Es schien aussichtslos. Enttäuscht richtete ich mich auf und ging zwischen steinernen Widdersphingen geradewegs zum Treppenansatz der zweiten Rampe. Ich wollte weiter hinaufsteigen und die Gelegenheit nutzen, um von der obersten Terrasse, wo die Osirispfeiler aufgereiht standen, auf das weite Tal hinabzublicken.
Zwischen den Sockeln des zweiten und dritten Pfeilers sahich ihn liegen: den leblosen Körper eines mir unbekannten, etwa dreißig Jahre alten Mannes inmitten einer riesigen Blutlache. Erschrocken sprang ich hinter den nächsten Pfeiler und verharrte dort, verängstigt und über den Anblick des Toten entsetzt, einige Augenblicke. Aber wieder war nichts zu hören und zu sehen.
Es brauchte eine Weile, ehe ich den Mut fand, zu dem Toten zu gehen. Jetzt sah ich, dass das Blut schon angetrocknet war, sodass er schon vor Stunden umgebracht worden sein musste. Er lag seitlich auf dem Boden, und als ich ihn vorsichtig berührte, kippte er bäuchlings um. Jetzt erst sah ich das Messer, das in seinem Rücken steckte und ihm die tödliche Wunde zugefügt hatte. Und wieder hatte man ihm aus der Schulter ein Stück Haut, ja ein ganzes Stück Fleisch herausgeschnitten, wie ich es schon bei Isis gesehen hatte.
Ich begann fieberhaft nachzudenken. Isis musste entweder sterben, damit sie mir kein Geheimnis verraten konnte, oder sie musste sterben, weil sie ihren Auftrag, mich zu töten, nicht wie befohlen ausgeführt hatte. Daraus, dass Isis ausreichend Gelegenheit gehabt hatte, mir ein Geheimnis mitzuteilen, wenn sie es gewollt hätte, schloss ich, dass sie mich umbringen sollte. Dieser da hatte mir aber zweimal seine Botschaft zukommen lassen und hatte mich gewarnt. Sein erster Versuch, mir selbst etwas zu sagen, scheiterte, weil er noch vor den Polizisten Turis hier eingetroffen war, deren Kommen bemerkte und eine Falle vermutete. Dennoch riskierte er es, ein zweites Mal hierher zu kommen, um schließlich sein Leben zu verlieren. Pharao schien wirklich in Gefahr. Aber welchen der beiden Herrscher hatte er gemeint, und welche Art von Gefahr?
Die Wunde auf seinem Rücken machte mich sicher, dass er – wie Isis – dort das Zeichen des Widders getragen hatte, ehe er getötet und verstümmelt wurde. Demnach diente er Amun, oder er war dessen Dienern hörig. Wenn also Pharao Gefahrdrohte, konnte sie nur aus den Reihen der Diener des Verborgenen kommen. Vielleicht lauerte dort schon ein anderer Mörder, den mir der Unglückselige, der vor mir in seinem Blut lag, verraten wollte und sich dabei einen hohen Lohn versprach? Ich war mir sicher, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb. Doch in welchen Palast sollte ich fahren? In den Palast
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