Im Land des Falkengottes. Echnaton
zur Flucht zu wahren. Mein Gehör war jetzt auf das Äußerste angespannt, doch es war nicht das leiseste Geräusch zu vernehmen. Kein Mensch zeigte sich. Es war so ruhig, dass ich mir nicht einmal sicher war, ob die Polizisten Turis überhaupt die vereinbarten Posten eingenommen hatten. Je länger ich da saß, umso mehr gelangte ich zu der Überzeugung, dass sich jemand mit mir einen üblen Spaß erlaubt hatte.
Nun erlebte ich dafür auf den Tempelstufen von Osiris Hatschepsut Maat-ka-Re einen wundervollen Sonnenaufgang. Erst färbte sich der Himmel über Waset dunkelrot, es schien, als wollte Re seinem Erscheinen so viel Ernst und Würde verleihen, dass er mich die darunter liegende Stadt als schwarzen Schatten nur schemenhaft erkennen ließ. Dann begann der Himmel im Umkreis der lebendigen Sonne hellrot zu leuchten wie Karneol,und weiter entfernt zeigte er sich in hellem, klarem Blau. Wenn ich mich umdrehte, sah ich die Ränder des westlichen Gebirges leuchten wie flüssiges Gold, und je höher Aton stieg, umso näher kamen seine Lichtstrahlen zu mir, bis sie endlich auch mich erfassten und mich wärmten.
Wie wahrhaftig und einfach war doch die Botschaft Echnatons! Dieser wunderbare Morgen ließ mich beinahe den Anlass meines Hierseins vergessen. Jetzt, da alles um mich herum von der aufgegangenen Sonne hell erleuchtet war, machte ich mir keine Hoffnung mehr auf ein Treffen mit jenem Menschen, der mir den geheimnisvollen Zettel geschrieben hatte. Ich ging zu meinem Wagen und fuhr zurück in meinen Palast, ohne mich darum zu kümmern, ob wirklich einer der Polizisten Turis irgendwo versteckt lag.
Ti war sichtlich erleichtert, als sie mich von unserer Terrasse aus unbehelligt in die Toreinfahrt einbiegen sah. Schon zwei Stunden später traf ich mich mit Turi, und wir waren uns einig, dass es kein ernst gemeinter Hinweis gewesen sein konnte. Eingehüllt in schwarze Mäntel der Wüstenmänner seien seine Polizisten schon gegen Mitternacht hinausgezogen, sodass sie mit Sicherheit von niemand bemerkt worden sein konnten. Welchen Grund also hätte der Unbekannte haben sollen, nicht zu kommen, außer dem, mich zu narren?
Die Hitze des Nachmittags gedachte ich auf der Liege neben der von mir so sehr geliebten Palme zu überstehen, als mich nach etwa einer Stunde tiefen Schlafs ein dumpfer Schlag, den ich unweit von mir vermutete, plötzlich aufwachen ließ. Ich hatte mich nicht getäuscht: Ein faustgroßer Stein war über die Gartenmauer und beinahe auf mein Schattenhaus geworfen worden. Aber es war nicht nur ein bloßer Stein, vielmehr war dieser in ein Stück Papyrus eingewickelt.
«Eine neue Botschaft», dachte ich bei mir, und ich wurde richtig wütend auf den Unbekannten, denn ich wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden.
«Ihr solltet allein kommen», las ich auf dem Zettel, wieder in säuberlicher Schrift. Und weiter: «Denkt an den Guten Gott. Morgen früh noch einmal!»
Ich sah keinen Sinn darin, Turi erneut in die Sache einzuweihen. Der Unbekannte war offenbar vorsichtiger, als Turi es erwartet hatte. Wenn er ein abtrünniger Diener des Amun war, hatte er auch allen Grund dazu, wie die Vergangenheit gelehrt hatte. Verrätern und Versagern bereiteten sie ein schnelles und grausames Ende. Hatte er es nur auf mein Ende abgesehen, wäre dies einfacher zu bewerkstelligen gewesen. So entschloss ich mich, am folgenden Morgen den Weg ungeschützt von den Polizisten Turis anzutreten und außer meinem Diener Ipu niemandem etwas davon zu sagen. Nicht einmal Ti sollte jetzt etwas erfahren. Ich sagte ihr deshalb gegen Abend, ich würde zum Palast der leuchtenden Sonne fahren und erst anderntags gegen Mittag von dort zurückkehren.
Stattdessen fuhr ich mit Ipu zu einem meiner Landgüter am Stadtrand und übernachtete dort in einer kleinen Gartenlaube, in welcher neben einer erstaunlich bequemen Liege nur Werkzeug herumstand. Der Gedanke, dass sich hier gelegentlich Dienerinnen und Diener aus meinem Gesinde tummelten, stimmte mich heiter und ließ mich gut gelaunt einschlafen.
Ipu weckte mich lange vor Sonnenaufgang. Ich befahl ihm, erst bei Tageslicht zum Ufer zu fahren, um dann nachzusehen, ob mein Wagen noch am Fuße des Tempels stand oder nicht. Sollte er noch dort stehen, hätte er Turi zu verständigen. Andernfalls sollte er zu Hause auf mein Eintreffen warten, ohne jemandem auch nur ein Wort von unserem nächtlichen Treiben zu sagen.
Der Fährmann – es war derselbe wie am Tag davor – zeigte sich doch
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