Im Land des Falkengottes. Echnaton
Schergen ebenso zu verfahren,wie es seine Auftraggeber sonst taten. Und so geschah es auch: Man schnitt dem Toten das Zeichen des Widders aus der Schulter heraus und warf den Leichnam wie einen Hundekadaver, den keiner mehr haben wollte und den es heimlich zu entsorgen galt, vor das Eingangstor des Amuntempels.
Nimuria und Teje saßen regungslos da, während ich ihnen von den Geschehnissen berichtete. Ohne Scham erzählte ich Ameni auch, in welch schrecklicher Lage ich mich befunden hatte, als es galt, mich für einen der beiden Paläste und möglicherweise für eines der beiden Leben zu entscheiden. Ameni sah mich nachdenklich an. Seine Blicke machten mir Angst, denn ich wusste nicht, ob er sich von mir verraten fühlte. Nicht dass er glaubte, auch ich hätte mich jetzt ganz auf die Seite des jungen Herrschers geschlagen, wie es so viele taten, die bei ihm ihr Glück zu finden hofften und die dem alten Pharao nicht mehr viel zutrauten.
Seine Blicke forderten mich auf, mich an die gemeinsamen Erlebnisse zu erinnern, an unsere Kindheit, als er mich zu sich in den Palast holte, an unsere ersten Jahre in Waset, wo wir das Leben mit seinen kleinen Höhen und Tiefen kennen gelernt, an die Gefahren, die wir gemeinsam überstanden und an die vielen geliebten Menschen, die wir gemeinsam betrauert hatten.
Er reichte mir seinen Weinbecher und sagte mit der mildesten Stimme, dem wohlwollendsten Blick, den man sich nur vorstellen konnte: «Stell dir vor, Eje, du wärest zu mir altem Mann gekommen, um mir zu helfen, und Stunden später hätten wir erfahren, dass unsere Kinder nicht mehr lebten. Ich hätte dann nicht mehr leben mögen! Ich weiß, wie schrecklich es ist, wenn ein Vater sein Kind zu Grabe trägt. Ganz gleich, ob man zwei Kinder hat oder zehn. Es ist immer das Schlimmste, das Eltern widerfahren kann.»
Selbst die Augen meiner Schwester Teje wurden jetzt feucht, und sie sah zu Boden, damit es niemandem sonst auffiel.
«Und wenn der Anschlag doch dir gegolten hätte? Kannst du dir nicht vorstellen, wie mir dann zumute gewesen wäre?»
Er schüttelte nur den Kopf und nahm mir, nachdem ich einen kleinen Schluck daraus getrunken hatte, seinen Becher wieder aus der Hand. «Irgendwann wird uns das Schicksal ohnehin für immer trennen, Eje. So oder so. Das einzig Ungewisse daran ist die Frage, wer von uns beiden zuerst geht.»
Es fanden in den nächsten Tagen in den Palästen von Waset viele geheime Beratungen statt. Auch Nimuria war der Meinung, dass es wenig Sinn machte, Strafmaßnahmen gegen die Priester des Amun auszusprechen, denn sie würden ohnehin bestreiten, dass sie mit dem geplanten Anschlag etwas zu tun hatten, und würden mit einer Strafe nur Mitleid heischen. Zuletzt könnten sie sogar als Opfer gestärkt aus dem Vorfall hervorgehen. Alle waren sich einig, dass der Wegzug Echnatons beschleunigt vonstatten gehen musste, da er ohnehin beschlossene Sache war. Als Vorkehrung zum Schutz des jungen Pharaos wurden die Wachen um ihn herum verdreifacht, und Nofretete zog mit ihren Töchtern Meritaton und Maketaton zu Nimuria und Teje in den Palast der leuchtenden Sonne.
Bei keiner der großen Versammlungen wurde der Anschlag auf Echnaton auch nur mit einem Wort erwähnt, obwohl in Waset jeder davon wusste. Es gab keine öffentliche Anklage, keine Beschuldigungen von Seiten des Hofes. Es gab nur das, was sich die Menschen erzählten. Und sie erzählten von einem gedungenen Mörder, der das Zeichen des Widders auf seiner Schulter trug, von einem Mörder, den die Priester des Verborgenen schickten. Dieses Gift, das die Menschen verbreiteten, mit jedem Wort, mit jedem Satz, den sie über den Anschlag sagten, dieses Gift wirkte schneller und war stärker als alles, was Pharao als Rache hätte ersinnen können. Gegen dieses Gift waren die Priester Amuns machtlos. Sie konnten es nicht kontrollieren, nicht aufhalten, denn das Volk lässt sich nicht die Stimme verbieten.Seine Stimme mag leise werden, sehr leise, aber ganz verstummen wird sie nie. Die Priester des Amun konnten auch nicht öffentlich gegen die Gerüchte vorgehen, denn offiziell gab es keine Vorwürfe gegen sie, keine Anklage. Es gab nur das langsam wirkende Gift eines hartnäckigen Gerüchts.
Der Abschied Echnatons war zwar nur ein vorläufiger, doch jetzt konnte ihn nichts mehr in Waset halten. Er musste nach Achet-Aton. Er wollte dort sein, wo das Heiligtum seines Vaters Aton errichtet wurde, wo man seinen Palast schuf, wo die schönste
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