Im Land des Falkengottes. Echnaton
die sich sonst im Schwertkampf übten, im Wagenlenken und im Bogenschießen, die sich in die Schlacht stürzten für Ruhm und Ehre, sie schleppten noch immer Steine für den Guten Gott. Denn die Stadt Atons war noch lange nicht vollendet. Über Jahre hinweg wurden neue Tempel gebaut,wuchsen Paläste und Verwaltungsgebäude empor. Und immer waren es die Soldaten Haremhabs, die gemeinsam mit freigestellten Bauern, Arbeitern und Sklaven die Talatatblöcke vom Hafen zu den Baustellen schleppten.
Echnaton holte immer mehr Menschen in die Stadt. Mit Erlaubnis seines Vaters zog annähernd die Hälfte der Arbeiter aus der kleinen Siedlung nahe dem Totental im Westgebirge von Waset nach Achet-Aton. Sie errichteten sich auch hier östlich der Stadt, am Fuße des Höhenzuges, eine Arbeitersiedlung.
Woche für Woche zogen sie dann hinauf in die Berge, wo nahe einem ausgetrockneten Flusslauf, welcher in der Senke zwischen den beiden «Horizont»-Hügeln seinen Ursprung hatte, das Grab der königlichen Familie angelegt wurde. Aber auch alle anderen Bewohner der Stadt erhielten in den Hängen und Seitentälern des Ostgebirges Gräber und durften sich der Arbeiter Pharaos bedienen.
Echnaton hatte uns gelehrt, dass die Toten nicht im Westen in einer finsteren Unterwelt lebten, nicht für ewig von dieser Welt und dieser Erde verbannt waren, sondern dass ihre Seele, ihr Ka, bei Tagesanbruch aus dem Grab, in welchem sie bei Nacht nur ruhten, herauskamen und sich unter den Lebenden der Schönheit der Schöpfung Atons erfreuten. Deswegen wurden die Gräber von Achet-Aton im Osten gegraben und anders angelegt und gestaltet als die Gräber im Westgebirge von Waset. Nicht mehr der osirianische Westen mit Sonnenuntergang, Tod und Endgültigkeit bestimmte nun den Totenglauben, sondern die aufgehende Sonne, das Leben. Deswegen schmückten nicht mehr Gebete und Sprüche aus dem Amduat und aus dem Pfortenbuch die Wände der Grabanlagen, sondern Bildnisse aus dem Leben der Königsfamilie. Es gab in den Gräbern keine schweren, viereckigen Pfeiler mehr, die Osiris zeigten oder den schakalköpfigen Anubis. Schlanke Säulen, bunt bemalt mit Ornamenten und verziert mit Kapitellen, die Papyrusdolden oder Lotosblüten glichen, erinnerten mehr an Festhallen kleiner Palästeals an finstere Grabanlagen. Es gab in den Gräbern keine Scheintüren mehr, denn die Seele wechselte nicht mehr durch sie vom Jenseits ins Diesseits. Jetzt gab es nur mehr das Diesseits. An den Wänden wurde das Lob des Herrscherpaares gesungen, und wir stellten uns selbst dar, wie wir von Pharao geehrt und ausgezeichnet wurden; alles erinnerte an die schönen Tage in unserem Leben, nicht an Tod und an Trauer. Merire, der Erste Sehende des Aton, ließ deswegen seine feierliche Einsetzung in seinem Grab darstellen und schrieb dazu die von mir gesprochenen Worte Pharaos:
«Siehe, ich setze Dich für mich als ‹Größten der Sehenden› in den Tempel des Aton in Achet-Aton ein. Ich tue es aus Liebe zu Dir mit folgenden Worten:
Mein angesehener Diener, welcher die Lehre wahrhaftig hört! Mit jedem Auftrag, den Du ausführst, ist mein Herz zufrieden. Ich gebe Dir das Amt und sage: Du sollst die Nahrung des Pharaos, Deines Herrn, im Tempel des Aton essen!»
Wie insgesamt die Finsternis aus dem neuen Glauben Echnatons verbannt wurde, wurde jetzt auch Osiris als Gottheit verbannt und geleugnet. Die Wächterinnen an den Särgen der Toten waren nicht mehr die Göttinnen Isis, Nephthys, Selket und Neith. Stattdessen wachten vier Abbildungen Nofretetes an den Ecken des königlichen Sarkophages, welchen man in den Werkstätten Achet-Atons herzustellen begann. Sie wurde jetzt zu seiner Schutzgöttin erkoren, die verantwortlich dafür war, dass Mund und Nase ihres Gatten einen angenehmen Lufthauch atmeten.
Die einfachen Menschen, die nicht in der unmittelbaren Nähe des Herrschers lebten und die nicht Tag für Tag seine Botschaft hören konnten, erfuhren von alldem nur wenig. Sie hätten gewiss den Glauben Echnatons gern und mit Freude in ihr Herz aufgenommen. Den wenigsten von ihnen fehlten Amun, Ptah und Min, Hathor oder Nut. Seit alters her wurde in einem Gau, in einer Stadt nur eine der großen Gottheiten allein oderbesonders verehrt: Ptah in Men-nefer, Sobek im Fajum, Min in Achmim oder Amun in Waset. Anderer Schutzgottheiten wie Sachmet, Bes oder Thoeris bediente man sich dagegen überall.
Was aber den Menschen bald fehlte, waren die Feste, die sie überall zu Ehren ihrer Götter
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