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Im Land des Falkengottes. Echnaton

Im Land des Falkengottes. Echnaton

Titel: Im Land des Falkengottes. Echnaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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Blut um sie herum. Ich sah mich an der Brüstung meiner Terrasse stehen, um mich hinabzustürzen, und ich sah das kleine Grab im Westgebirge, in dem ich sie begraben hatte. Dann sah ich Ti, als sie mit achtzehn Jahren aus Napata zu uns gekommen war und um Aufnahme und Arbeit gebeten hatte. Ich sah sie, wie sie Nofretete umhertrug, den kleinen Säugling, der keine Ahnung hatte, wer seine wirkliche Mutter war. Und ich sah Ti, wie sie mit zweiunddreißig Jahren im Garten vor mir stand und wie wir zum ersten Mal unsere Hände zärtlich festhielten, wir uns küssten und ich sie bat, mich nie mehr zu verlassen.
    «Du solltest mich nie mehr verlassen, Ti», sagte ich leise. «Ichwollte das nie mehr erleben. Und jetzt lässt du mich und Mutnedjemet einfach hier zurück.»
    Ja, Mutnedjemet. Sie hatte keine Ahnung, was geschehen war. Mit ihren sechzehn Jahren war sie gewiss kein Kind mehr, aber ohne ihre Mutter zu sein, würde sie gewiss hart treffen.
    «Ich komme gleich wieder», sagte ich zu Ti und meinte doch mehr mich selbst. Leise, als schliefe sie nur, ging ich aus dem Zimmer.
    Ich wusch mir kurz das Gesicht ab, dann ging ich hinunter und vor das Haus, wo sich schon das ganze Gesinde versammelt hatte. Nacht, mein Schreiber, und mein Diener Ipu sprachen mir auch im Namen all der anderen das Beileid aus. Die meisten von ihnen weinten, und die Frauen stimmten ein herzzerreißendes Klagegeschrei an. Ich nahm Ipu und Nacht zur Seite und bat sie, in den Nordpalast zu fahren. Sie sollten sich erst bei Aper-el melden und ihm alles berichten. Er sollte dann entscheiden, ob er selbst der Großen königlichen Gemahlin und Mutnedjemet die traurige Nachricht überbrachte, oder ob er erst Echnaton verständigte. Dann nahm ich den jungen Arzt zur Seite und bat ihn zu bleiben, bis Nofretete und Mutnedjemet hier eintrafen, denn sie sollten von ihm selbst erfahren, was mit ihrer Mutter geschehen war.
    Ich ging zurück in das Schlafzimmer und setzte mich wieder neben Ti. Ob mich Echnatons neue Religion trösten würde, wonach die Seelen der Toten nicht mehr in der Unterwelt weilten, sondern Morgen für Morgen aus ihren Gräbern stiegen, um mit den Lebenden am Leben auf der Erde teilzunehmen? Nein, jetzt tröstete mich der Gedanke wenig. Vielmehr spürte ich, wie tief im Innern meines Herzens eine Wut keimte, eine unsägliche Wut auf alles Göttliche, auf die Allmacht des Himmels, die mit uns Armen doch nur zu spielen schien. Guter Gott! Gütiger Gott, der du Atem spendest, um alle Geschöpfe am Leben zu erhalten! Wie bitterer Hohn erschienen mir jetzt all die Lobpreisungen aus dem Sonnengesang des Echnaton, jetzt, da man mirdas Liebste genommen hatte. Wie friedlich sie dalag, sie, die ewig Unruhige und Rastlose.
    «Sie lässt mich einfach allein zurück!»
     
    Ich hörte das Donnern zahlreicher Pferdehufe, Wiehern und lautes Schnauben. Ich hörte einige knappe Befehle und daneben das Klagegeschrei und das Weinen meiner Dienerinnen. Ich wusste, dass ich gleich nicht mehr allein bei meiner Ti sitzen würde, um mich leise und still von ihr zu verabschieden. Zuerst betraten Nafteta und Mutnedjemet den Raum und nach ihnen Echnaton. Nafteta kniete neben dem Bett nieder, griff nach den gefalteten Händen ihrer Amme und weinte schrecklich. Mutnedjemet dagegen blieb wie erstarrt neben dem Bett stehen und sah regungslos auf ihre tote Mutter.
    «Wie konnte das geschehen», flüsterte Echnaton mir zu. «Ihr war doch nicht das Geringste anzumerken!»
    «Du musst den Arzt fragen. Ich weiß es selbst nicht. Es ging alles so schnell.»
    Ein bitterböser Blick Mutnedjemets ließ uns beide wieder schweigen. Nach einigen Augenblicken der Andacht verließen Echnaton und ich das Zimmer und gingen wieder hinunter. Mit einem knappen Wink bat ich Ramessu, den jungen Arzt, zu uns. Er fiel vor Pharao nieder und wagte es nicht, seinen Kopf auch nur einen Finger breit vom Boden zu heben. Es war wohl das erste Mal, dass er dem Guten Gott so nah war.
    «Wie heißt er?», fragte mich Echnaton.
    «Ramessu», sagte ich kurz und sah auf den jungen Arzt nieder, der noch immer zitternd vor Pharao im Staub lag.
    «Steh auf, Ramessu», befahl Echnaton mit gütiger Stimme. Wie es sich ziemte, wagte es Ramessu nicht, seinem Herrscher ins Gesicht zu sehen, sondern er starrte mit gesenktem Haupt zu Boden.
    «Sieh mich an, Ramessu!»
    Nur ganz allmählich hob Ramessu den Kopf, ängstlich undzögerlich, behaupteten doch viele, man müsse sterben, wenn man dem Guten Gott in die

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