Im Land des Falkengottes. Echnaton
Augen sieht.
«Du musst keine Angst haben», sagte Pharao und sah den Arzt freundlich an. «Kannst Du mir sagen, wie es dazu kam, dass Ti so plötzlich von uns ging?»
«Ich kann bisher nur aufgrund der wenigen Äußerlichkeiten urteilen, die ich selbst beobachtet habe, Majestät. Mir scheint, dass sie an einer plötzlichen Hirnblutung gestorben ist. Es handelt sich dabei um eine Krankheit, die man nicht behandeln kann. Sie kündigt sich nicht an, und sie ist nicht vorhersagbar. Es kann jeden ereilen, jeden Tag und zu jeder Stunde.»
«Und wie könntest Du Gewissheit erlangen?», fragte Echnaton den Arzt etwas unbedarft.
Doch ehe dieser eine Antwort geben konnte, widersprach ich: «Das möchte ich nicht, Echnaton. Eine Öffnung ihres Kopfes bringt mir Ti nicht zurück.»
«Ich verstehe», sagte er leise, und wie zur Entschuldigung legte er seine linke Hand freundschaftlich auf meine rechte Schulter.
Wenig später kamen zwei Balsamierer mit ihren Gehilfen in mein Haus. Sie wuschen den Leichnam, zogen ihn festlich an und bahrten ihn schließlich inmitten der großen Halle meines Hauses zwischen prachtvollen Blumengebinden, Kerzen und dampfenden Weihrauchpfannen auf. Im Hintergrund hielten sich einige Musikanten auf und spielten leise und zurückhaltend traurige Weisen, während nach und nach Freunde und Bekannte und schließlich auch meine gesamte Dienerschaft in der Halle erschienen, um von Ti Abschied zu nehmen. Es war ein ungewöhnlicher Abschied, denn hier in Achet-Aton gab es keinen Priester mit Anubismaske, der die Toten ins Jenseits geleitete, indem er an vorgeschriebenen Stellen Weihrauch verbrannte und indem er die Totengebete sprach. Es fand sich gar kein Priester ein, denn der Glaube an Aton war ein Glaube des Lebens, des Diesseits, und auf den Tod schien man in Achet-Aton,seinen Tempeln und Palästen gänzlich unvorbereitet zu sein.
So war ich dankbar, als es endlich Abend und Nacht wurde und man mich allein ließ. Echnaton und Nofretete kehrten in ihren Palast zurück, denn zumindest Pharao kam nicht umhin, bei den Feierlichkeiten zu seinem zehnjährigen Thronjubiläum anwesend zu sein. Mutnedjemet zeigte mir gegenüber noch immer eine seltsame Verhaltensweise. Sie sprach kaum mit mir und wenn, dann nicht gerade in einem unserer Lage angemessenen Ton. So weh es mir auf der einen Seite tat, dass sie es vorzog, diesen Abend mit Nafteta im Nordpalast zu verbringen, so froh war ich auch, dass sie einem möglicherweise drohenden Streit auswich und mich allein zurückließ.
Bis spät in die Nacht mussten die Musikanten ihre traurigen Lieder und Gesänge spielen. Zuletzt mussten es Liebeslieder sein, denn ich wollte vollkommen in der Erinnerung versinken, in schöner Erinnerung, als ich vor der Bahre saß und unentwegt auf das Gesicht meiner Ti starrte. Auf ihre kleine, krumme Nase, die ich so sehr geliebt hatte, die Lippen, die so weich waren und nach einem ersten Kuss immer mehr wollten, die glatte Stirn, die auffallenden Backenknochen, der schlanke Hals.
Nachdem ich die Musikanten entlassen hatte, blieb ich noch lange in meinem Garten sitzen, aber die Nachtigall schwieg in dieser Nacht. Der Ruf einer Eule, des Totenvogels, hatte sie wohl verängstigt. So verschloss ich hinter mir die schwere Tür, warf im flackernden Licht einer einzelnen Kerze einen letzten Blick auf die scheinbar schlafende Ti, ging in mein Zimmer und legte mich hin. Erneut begann ich zu weinen, beweinte den Tod meiner Frau, beweinte mein Schicksal und schlief erst ein, als ich das tiefe, durchdringende Singen der Nachtigall vernahm. Ihr Lied tröstete mich, machte mir ein wenig Mut und ließ mich zuletzt hoffen, dass auch ich wieder frohe Tage erleben würde.
Schon früh am Morgen, als man überall in Achet-Aton noch schlief, kamen die Balsamierer zurück, um Ti abzuholen und sie auf das andere Flussufer zu bringen. Ich wartete weder auf Nafteta noch auf Mutnedjemet. Sie hatten mich am Abend vorher zurückgelassen, ohne mich zu fragen, wie es am anderen Tag weitergehen würde. Es war nicht richtig, was ich tat, ich wusste es, und dennoch bereitete es mir eine seltsame Genugtuung, dass nur ich es war, der sich um Ti kümmerte. Alle sollten es beschämt zur Kenntnis nehmen, denn ich würde ihnen schon sagen, dass nicht sie es sind, die einen Grund hatten, gekränkt zu sein, sondern einzig und allein ich.
So stand ich nur mit Nacht und Ipu und einigen Klagefrauen am Ufer des Flusses, als hinter uns die Sonne aufstieg und meine
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