Im Land des Falkengottes. Echnaton
Kopf. Langsam fuhren unsere Wagen den schmalen Pfad empor, bis wir endlich dort angelangt waren, von wo aus wir den schönsten Ausblick genießen konnten.
«Lasst uns noch einige Schritte gehen», sagte ich zu ihr, «denn dort, hinter dem kleinen Felsvorsprung, ist der beste Platz.»
Zu meinem Erstaunen bat Kija die Hofdamen, bei den Wagen zurückzubleiben. An den Gesichtern der Drei konnte ich ablesen, dass sie nur mit Widerwillen gehorchten. Das kurze und von den anderen unbemerkte Kopfnicken des ersten Offiziers gab mir die Gewissheit, dass er für die Einhaltung des Befehls – und nichts anderes als ein Befehl war Kijas Wunsch – Sorge tragen würde. Es genügten wenige Schritte, damit wir ihren Blicken entschwunden waren.
Hier herrschte eine vollkommene Stille, die nur ab und zu wie immer an diesem Ort von den schrillen Aufschreien einiger Falken unterbrochen wurde. Wir setzten uns auf einen der umherliegenden Felsblöcke, sahen hinaus in das weite Land, auf den Fluss und die Stadt. Wir sahen auf die Getreidefelder, deren leuchtendes Gelb, vermischt mit dem Blau unzähliger Kornblumen die nahe Ernte ankündigte. Wir blickten hinab in den Abgrund vor uns, auf die Totentempel von Mentuhotep und Hatschepsut. Weit im Süden sahen wir den Totentempel Amenis und seinen gewaltigen Palast, und ich spürte, wie meine Augen etwas feucht wurden.
Plötzlich lehnte Kija ihren Kopf gegen meine rechte Schulter und ergriff meine Hand. Ihre beiden Daumenkuppen glitten liebevoll über den Handrücken, während die Spitzen ihrer übrigen Finger die Handinnenfläche abtasteten. Zum ersten Mal erahnte ich jetzt den zartherben Duft ihres mir so fremden undoffenbar zurückhaltend aufgetragenen Duftöls. Ich war von dieser überraschenden Geste so gebannt, dass ich es nicht wagte, sie anzusehen. Was wusste dieses Mädchen schon über mich? Und was wusste ich schon über dieses Mädchen? Wir hatten beide erst so wenig voneinander erzählt. Wenn ich mir es recht überlegte: noch gar nichts.
Kija sah hinaus in das weite Land, das vor uns lag, doch ihre Gedanken waren nicht hier. Sie schien völlig abwesend, weit weg von hier zu sein.
«Träumst du von zu Hause?», fragte ich sie.
«Nein», gab sie gleich zur Antwort und wandte sich mir zu. «Ich dachte darüber nach, wie wenig wir voneinander wissen. Aber ich hoffe, dass sich das noch ändern wird.»
Wir beide merkten gar nicht, dass wir uns in der vertrauten Form angesprochen hatten.
Ich saß an diesem Abend noch lange auf der Terrasse meines Palastes und starrte in den Garten, auf das Schattenhaus, in welchem ich einst auf Isis getroffen war, auf die Palme, unter welcher ich immer so gern schlief, und dann auf das steinerne Gartentor und stellte mir vor, sie würde jetzt mit einem Wagen hereinfahren, um mich zu besuchen. Aber Kija kam nicht. Ich ließ mir Schreibzeug bringen und versuchte, Kija im spärlichen Licht dreier Kerzen einen Brief zu schreiben. Es gelang mir aber nicht, weil ich gar nicht wusste, was ich ihr schreiben sollte. Oder wusste ich nur nicht, wie ich meinen Brief beginnen sollte? Vielleicht tat auch der Wein das Seine dazu. Ich ließ es bleiben.
Ich wusste nicht, ob ein gemeinsames Leben mit dieser Frau, dieser so jungen Frau, jemals möglich sein würde. Sie war manchmal von einer durch nichts zu trübenden Lebensfreude, und doch konnte man mit ihr über Dinge sprechen, wie sonst nur mit einem alten Freund. Wie viele Hindernisse hätten erst überwunden werden müssen, ehe wir überhaupt an eine Verbindung hätten denken können! Sie war Mitglied der königlichenFamilie, und ich erinnerte mich nicht, dass jemals der Witwe eines unserer Herrscher, und war sie auch noch so jung, die Heirat außerhalb der engsten Herrscherfamilie gestattet worden war. König Tuschratta würde empört sein, wenn er erfuhr, dass ich um die Hand seiner Tochter anhielt, hatte er doch seine Tochter einem König gegeben! Und da war auch noch Kija selbst. Wie mochte ich mir einbilden, dass sie in eine Heirat mit mir einwilligen würde, so sehr ich es mir auch wünschte. Nur weil sie meine Hand ergriffen und zärtlich gestreichelt und sie mich freundlich lächelnd angesehen hatte?
«O Eje! Du alter Esel», sagte ich zu mir und legte mich schlafen, denn der Wein und die Ereignisse des Tages hatten mich müde gemacht.
Sosehr ich mir auch in den nächsten Tagen Mühe gab, Gedanken an Kija und an eine gemeinsame Zukunft mit ihr zu verdrängen oder sie gar zu vergessen, so
Weitere Kostenlose Bücher