Im Land des Falkengottes. Echnaton
vielmehr der Sorge, dass ihre hohe Krone verrutschen oder gar herabfallen könnte. Reihum begrüßte ich jetzt meine Enkeltöchter: Zuerst Meritaton, die mit den vierzehn Jahren, die sie jetzt zählte, nicht mehr die Jugendlocke an der Seite ihres Kopfes trug, sondern schon wie eine kleine Königin auftrat, mit Perücke, goldenem Stirnreif und kostbarem Schmuck. Danach Maketaton, den Liebling Echnatons, dann Anchesen-pa-aton und schließlich die drei Kleinen. Endlich konnte ich mich meiner Tochter Mutnedjemet zuwenden, und mir war nicht entgangen, dass sie mich all die Zeit sehr aufmerksam beobachtet hatte.
«Ich bin sehr glücklich darüber, dass du wieder hier bist, Vater», flüsterte sie mir ins Ohr, als wir uns Wange an Wange umarmten. «Ich bin auch froh, endlich wieder bei dir zu sein», erwiderte ich ihre liebevollen Worte und streichelte mit der Hand über ihr kräftiges Haar. Sie merkte sofort, dass ich «bei dir» gesagt hatte, und nicht «hier» oder «bei euch», denn jetzt war sie es, die mich fest an sich drückte. Sie hakte sich bei mir unter, und wir folgten der königlichen Familie in den großen Hof des Palastes. Man wird mir den Stolz angesehen haben, den ich neben meiner siebzehnjährigen Tochter empfand, denn welcher Vater zeigt sich nicht gern mit einer jungen und doch schon erwachsenenTochter, die an Schönheit nur von wenigen im Land übertroffen wurde.
Es war die Sache des alten und ehrwürdigen Wesirs, Kija, die junge Witwe Nimurias, dem jetzt allein herrschenden Pharao vorzustellen. Er tat dies mit aller Höflichkeit und Ehrerbietung, die man Kija schuldete. Ganz im Gegensatz zu meiner Schwester beobachtete ich Echnaton und Kija sehr genau, als sie sich jetzt zum ersten Mal begegneten, sich in die Augen sahen und knappe Höflichkeiten austauschten. Ich sah genau, wie ihre Augen über sein Gesicht und zwischen seinen Augen hin und her huschten, unruhig und aufgeregt, wie auch ich es von ihr kannte, und ich bemerkte seinen bohrenden Blick, der weit mehr verriet, als dass er sie nur als einen Menschen unter vielen wahrgenommen hatte. Es versetzte mir einen kleinen Stich ins Herz, beunruhigte mich aber weiter nicht, denn ich zweifelte nicht daran, dass die Verbindung zwischen Echnaton und Nofretete unzertrennbar sein würde. Ich wurde darin umgehend bestätigt, als sich Pharao sogleich seiner Großen königlichen Gemahlin zuwandte und mit ihr und den Kindern zwischen Wedelträgern den Zug in den Palasthof anführte, während der Wesir bei Kija blieb, um sie und ihre Hofdamen nach der Begrüßung in den Frauenpalast zu bringen und um selbst nach Erfüllung dieser Pflicht nach Waset zurückzukehren.
Echnaton ließ es sich nicht nehmen, seiner Mutter Teje und mir, vor allen Menschen, die im großen Hof des Stadtpalastes versammelt waren, für den treuen Dienst zu danken, den wir in seinem Namen an Osiris Amenophis geleistet hatten.
«Denn ich habe vor Aton, meinem Vater, den Eid abgelegt, seine Stadt Achet-Aton nicht mehr zu verlassen», fügte er gleich als Begründung dafür hinzu, dass er nicht selbst nach Waset gezogen war, um die Beisetzung Nimurias zu leiten.
«Wer würde sich in dieser Stadt noch an irgendeinen Eid halten, wenn Pharao seinen Eid, den er Aton, seinem göttlichenVater, gegeben hat, bricht? Wer in den Beiden Ländern bräuchte dann noch irgendeinen Eid einzuhalten? Ein Eid ist das Heiligste, was es gibt, zwischen Menschen und noch mehr zwischen Aton und mir, seinem Sohn. Nichts könnte Maat, unsere göttliche Ordnung, mehr verletzen, als der Bruch eines Eides. So gelobe ich an dieser Stelle vor allem Volk, besonders aber vor Aton, meinem Vater, dass ich diese Stadt nie mehr verlassen werde. So sei es, und so werde es geschrieben.»
Mit diesen Worten beendete Echnaton die Audienz und glaubte, damit dem Streit um eine Rückkehr nach Waset oder Men-nefer ein für alle Mal den Boden entzogen zu haben, ehe er in Achet-Aton überhaupt losbrechen konnte.
Nur selten fiel mir ein Nachhauseweg so schwer wie an diesem Tag, denn mein wahres Zuhause war nicht in dieser Stadt, sondern lag woanders: Es lag in Waset. Noch auf dem Weg in unseren Palast begann ich, Mutnedjemet von all meinen Erlebnissen der letzten Monate zu berichten. Ich erzählte ihr von der Ankunft der Mitanni-Prinzessin und davon, dass es keine Hoffnung mehr gegeben hatte, meinen Freund Ameni von seinem Vorhaben, sie zu heiraten, abzubringen. Ich berichtete ihr von seiner Krankheit und von seinem Tod.
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