Im Land des Falkengottes. Echnaton
geheimsten aller geheimen Gedanken offenbaren, nicht solange noch irgendein Mensch, der der königlichen Familie entstammte, am Leben war. Ich konnte und musste diese Wahnvorstellungen mit in mein Grab nehmen. Würde Echnaton nicht schnell eine Entscheidung treffen, musste ich Achet-Aton für eine Weile verlassen, ins Fajum gehen oder nach Men-nefer, um mich nicht länger vergiften zu lassen von dieser unterweltlichen Schlange Apophis, dem Gegner des Sonnengottes, der um mich herumschlich auf seiner Jagd nach meiner Seele.
Schon frühmorgens ging ich in das Gempa-Aton. Es war totenstill in der Stadt. Kein Mensch war zu sehen. Nicht einmal Wachhunde schlugen an, so leise und unauffällig suchte ich das Heiligtum Atons auf. Ich huschte durch die Vorhalle, durchquerte den ersten Hof mit seinen vielen hundert Altären, und von allen Wänden sahen Echnaton und Nofretete auf mich herab, ihre mächtigen, kalten Steinfiguren sahen von weit oben herab mich an und mahnten zur Umkehr. Wie trunken ging ich, jawankte ich mehr durch den nächsten Hof, bis ich im dritten Hof das Podium sah, auf welchem die königliche Familie fast jeden Morgen im Gebet den aufgehenden Aton begrüßte. Dort oben war der Platz, der nur Pharao gebührte. Nur zweiundvierzig Stufen führten hinauf. Zweiundvierzig Stufen zur Macht. Wie leicht würden die Schritte getan sein.
Einmal nur, bevor ich ging, bevor ich für immer abtrat, wollte ich auskosten, wie wohl der Schein Atons tat, wenn man auf einem Thron saß. Meine Linke ergriff schon das Geländer, meine Blicke waren gebannt gen Osten gerichtet, wo ich schon bald die glutrote Scheibe erwartete. Alles um mich herum war vergessen.
«Deine Blicke sind nicht die Blicke jenes Eje, den ich kannte, der mich großzog und mich die Weisheit der Maat lehrte.»
Es war die Stimme Echnatons. Götter! Wie konnte er mir so unbemerkt nahe kommen? Ich wagte es nicht, mich umzudrehen. Diese Stimme! Diese in ihrer Liebe alles durchdringende Stimme! Jetzt fühlte ich, wie seine Liebe wieder in mein Herz kehrte, es ergriff, in Besitz nahm. Für einen Augenblick wusste ich gar nicht mehr, weshalb ich hierher gekommen war. Das Gift war es. Das Gift der Schlange Apophis!
«Eje», hörte ich wieder diese sanfte Stimme zu mir sagen, und noch einmal riss sie einen dunklen Schleier von meinem Herzen. Gott! Was hatte ich getan?
Meine Hand ließ langsam das Geländer los, und meine Knie versagten mir den Dienst. Ohne mich zu ihm umgedreht zu haben, sank ich nieder, krümmte mich zusammen wie der elendste Fremdländer, wie ein geschlagener Hund. Ich vergrub mein Angesicht in meinen Händen, damit meine Augen das Angesicht des Guten Gottes nicht sahen, denn sie hatten es nicht verdient. Mit den Daumen drückte ich meine Ohren zu, damit sie seine Stimme nicht länger hörten.
Erst berührte eine Hand meinen linken, dann meinen rechten Oberarm, und dem sanften Druck seiner Hände nachgebend,erhob ich mich langsam und drehte mich zu ihm um. Mit tränennassen Augen und bebenden Lippen sah ich ihn an.
«Niemand, der bereit ist, zu mir zurückzukehren, wird verstoßen. Der Lichtstrahl Atons scheint über alle Menschen. Hier in Achet-Aton ebenso wie in Waset, in Mitanni oder in Babylon. Du hast Schweres durchlitten, Eje, ich weiß es. Gleich, welche Gedanken du hegtest, liebe ich dich, wie ich dich immer geliebt habe.»
Seine Blicke waren durchdringend, aber nicht bohrend wie Schwerter, nicht brennend wie glühendes Eisen, sondern mild und wohltuend wie Salböl, so lieblich wie Honig. Wie sehr schämte ich mich in diesem Augenblick vor der Milde und Größe seines Herzens!
«Verlasse uns nicht, Echnaton!», stammelte ich leise und zaghaft, und dachte dabei an das schlimme Gerücht, welches ich vor Tagen gehört hatte.
«Die sich um mich scharen, werde ich nicht verlassen. Und für die anderen wird gesorgt werden, Eje. Die Liebe deiner Tochter zu Aton und zu mir ist größer als jede andere Liebe, die es je auf dieser Welt gab. Nofretete wird für mich nach Waset zurückkehren, um dort als Mitregent zu herrschen und um dort die Liebe Atons zu verkünden!»
Nach all dem, was ich in meiner Schlechtigkeit zu denken gewagt, was mein Herz ihm angetan hatte, duldete dies keinen Widerspruch. Ich war tief gefallen, und er ahnte, nein, er wusste es. Durfte ich ihm jetzt vorhalten, wie unwirklich, wie wahnsinnig sein Vorhaben in meinen Augen war? Wie eine uralte Schuld lastete die frevelhafte Machtgier der Hatschepsut, jener Frau,
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