Im Land des Falkengottes. Echnaton
jenseitige Ende des Hofs und die königliche Familie stieg die Stufen zu ihren Thronen empor, um sich dort niederzulassen: In oberster Reihe, auf Thronen aus reinstem Elektron, saßen Echnaton und Nofretete, und darunter auf kleineren, aber nicht weniger prächtigen Thronen, ließen sich die sechs Prinzessinnen nieder. Zum noch immer anhaltenden Gesang des Chores erhob sich jetzt über der mächtigen Rückwand des königlichen Freisitzes die goldglühende Scheibe Atons, erschien der göttliche Vater Echnatons auf seinem prächtigen Thron, dem Gempa-Aton.
Jetzt erkannte ich das neue Abbild der heiligen Neunheit Ägyptens: An die Stelle des käfergestaltigen Atum, des von selbst entstandenen Schöpfergottes, war Aton getreten. Echnaton und Nofretete lösten dessen Kinder Schu und Tefnut ab, und an die Stelle der Götter Geb und Nut, Osiris, Isis, Seth und Nephthyswaren jetzt die Kinder Pharaos getreten, und alle trugen den Aton in ihrem Namen. Ausdrucksvoller konnte das Bild, welches sich uns darbot, nicht sein. Manchen von uns, der mit der Götterwelt Ägyptens gut vertraut war, mag ein ungutes Gefühl beschlichen haben, wenn er sah, dass Echnaton so unübersehbar alle anderen Götter der Beiden Länder leugnete und durch gottgleiche Mitglieder der Königsfamilie ersetzte.
Der Chor war jetzt verstummt, und Aper-el trat am Fuß der Treppe vor die Menge und rief:
«Erhebt Euch vor Seiner Majestät, dem König von Ober- und Unterägypten, dem starken Stier, geliebt von Aton, groß an Königtum in Achet-Aton, der den Namen des Aton erhebt, Neferchepru-Re Waen-Re Echnaton, der von der Wahrheit lebt, Gottherrscher von Achet-Aton! Erhebt Euch vor der Großen königlichen Gemahlin Nofretete Nefer-neferu-Aton Meri Waen-Re!»
Nachdem alle taten, wie ihnen befohlen, fuhr Aper-el mit lauter Stimme fort:
«Es lebe der Gute Gott, der mit der Wahrheit zufrieden ist, Herr des Himmels, Herr der Erde, der lebende Aton, der große, der die Beiden Länder erhellt, der lebende, mein Vater: Es lebe Re-Harachte, der im Horizont jubelt in seinem Namen Schu, welcher der Aton ist. Als Seine Majestät, sie lebe, sei heil und gesund, im vierten Jahr ihrer Herrschaft nach Achet-Aton kam, legte sie einen Schwur ab. Seine Majestät schwor vor dem lebenden Aton, diese Stadt, die sie für ihren Vater errichtet hat, nie zu verlassen. Man gab dem Aton diese Stadt für alle Ewigkeit. So wurde es geschrieben. Doch jetzt, da Amenophis Neb-maat-Re nicht mehr unter uns weilt, da seine Seele in Ewigkeit ruht und da Seine Majestät die Herrschaft über die Beiden Länder angetreten hat, da beklagt sein Volk, dass es keinen Herrscher hat in Waset oder in Men-nefer. Höre, Volk von Ägypten: Dein Pharao wird seinen Schwur nicht brechen. Nicht wird er ihn brechen heute, noch in zehn Jahren, noch zu irgendeinem Zeitpunktseiner Herrschaft, die ihm gegeben wurde für Millionen von Jahren. Seine Majestät, sie lebe, sei heil und gesund, wird Achet-Aton nicht verlassen. Doch beklage dich nicht, Volk von Ägypten!
Dein König hat deine Klage vernommen, und dein Flehen wurde erhört. Die Große königliche Gemahlin Nofretete Nefer-neferu-Aton Meri Waen-Re erhebt Pharao zum Mitregenten neben Seiner Majestät, damit sie gleichberechtigt herrsche über alles Volk, alles Land und alles Vieh. Ihr Name als Herrscherin Ägyptens sei von nun Semenchkare Djoserchepru-Re Meri Waen-Re. Die Liebe der Herrscherin Semenchkare zu Aton, unser aller Vater, ist so groß, dass sie nach Waset ziehen wird, um dort als Pharao zu herrschen mit Geißel und Krummstab, um Bewahrerin der Maat zu sein für Millionen von Jahren. So sei es, und so werde es geschrieben!»
Eine allgemeine Unruhe und Unsicherheit machten sich überall breit, und die Hochrufe, mit welchen die Leibgarde begann, wurden nur zögerlich mehr und lauter. Doch dann schien es mir, als wären beim Anblick der Herrscherin die Gefühle umgeschlagen, weil sich alle bewusst wurden, welches Opfer Nofretete, die von nun an Semenchkare hieß, auf sich genommen hatte. Jetzt schlugen die Soldaten gegen die Schilde und erkannten so lautstark den Herrschaftsanspruch Semenchkares an. Es dauerte nicht lange, und die Jubelrufe der Menschen traten in einen Wettstreit mit dem Lärm der unaufhörlich schlagenden Soldaten, und bald darauf stimmte auch die für uns unsichtbare Menschenmenge außerhalb der Palastmauern in den Jubel ein, denn die Botschaft Pharaos wurde in kürzester Zeit auch bis zu ihnen weiterverbreitet. Unter den
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