Im Land des Falkengottes. Echnaton
dass wir uns irgendwo allein trafen. Ich weiß nicht, ob dies Zufall oder von ihr so gewollt war. Meine Liebe und Begeisterung zu ihr begann, in Enttäuschung, manchmal sogar in Wut umzuschlagen. Hatte sie die Stunden, die wir in Waset gemeinsam verbrachten, die lieben Worte, die wir wechselten, hatte sie all die Zärtlichkeiten vergessen oder verdrängt? Ich war wohl jetzt, da sie vom Glanz des Hofes umgeben wurde, ein Niemand mehr.
Doch was wollte ich ihr vorwerfen? Ihre Blicke, ihre Küsse hatten mir Hoffnung gemacht, gewiss, aber aus ihrem Mund hatte es nie ein Versprechen gegeben. Das musste ich mir eingestehen.
Der letzte Abend des zehntägigen Festes wurde besonders aufwendig begangen, denn an diesem Tag wurde Prinzessin Meritaton zur Großen königlichen Gemahlin ihres Vaters erhoben. Dieser Schritt wurde mit dem Weggang Nofretetes zur Wahrung der Maat notwendig, denn unsere uralten Gesetze schrieben es vor, dass Pharao, gleich wie alt er war, eine Große königliche Gemahlin an seiner Seite haben musste. Zugleich war dieser Abend das Abschiedsfest für meine Tochter Nafteta.
Meritaton gab sich keineswegs wie eine Vierzehnjährige, die noch bis vor kurzem mit Strohpuppen spielte und über Hüpfseile sprang. Sie hatte das gleiche ernste und würdevolle Gesicht ihrer Mutter, deren schmale Nase, die klaren Augen und die wohlgeformten Ohren. Nur die Lippen, die wulstigen, sinnlichen Lippen, waren die ihres Vaters. Unentwegt huschten die Augen der jungen Königin von Gesicht zu Gesicht, um genau festzustellen, wer es war, der sie betrachtete, sie bewunderte. Von der kühlen Gelassenheit ihrer Mutter war sie noch weit entfernt.
Echnaton und Nafteta sprachen kaum miteinander, doch ihre Hände waren fest ineinander verschlungen, und ihre Fingerspitzen ließen nicht einen Augenblick davon ab, die Hand des anderen zu streicheln und zu liebkosen. Hin und wieder trafen sich ihre verliebten Blicke, und dann lächelten sie sich verlegen an. Es war das Lächeln zweier Menschen, die sich noch immer liebten wie am ersten Tag, in ihrem Lächeln erkannte ich aber auch den unsäglichen Schmerz, welchen die bevorstehende Trennung über beide gebracht hatte. Je näher der Abschied rückte, umso unerträglicher wurde ihnen ihr Beisammensein unter all den Festgästen. Keiner von uns ahnte vermutlich, wie sehrEchnaton und Nofretete an diesem Abend und in dieser Nacht leiden, welche Zweifel sie durchleben würden.
Mir selbst ging es kaum anders. Durch mein Versprechen, welches ich Amenophis gegeben, und durch meinen Eid, den ich vor mir selbst abgelegt hatte, war ich ein für allemal mit Echnaton verbunden. Gewiss würde ich auch in Zukunft ein- oder zweimal im Jahr nach Waset fahren, schon deshalb, um nach meinem Palast und meinem Landgut zu sehen und um die Gräber meiner Lieben zu besuchen. Dann würde ich auch Nafteta wiedersehen können. Es war eigenartig: Seit einigen Tagen machte ich mir weniger Sorgen um Leib und Leben meiner Tochter in Waset als um Echnaton, der allein hier in Achet-Aton zurückblieb. Es war, als wäre mir erst jetzt aufgefallen, dass sie die Stärkere war, die Machtbewusstere, die es immer wieder verstand, die Fäden der Herrschaft in ihren Händen zusammenlaufen zu lassen. Sie hatte da sehr viel Gemeinsamkeit mit meiner Schwester Teje. Echnaton war zu gut, zu arglos, um allein gegen all die Gemeinheiten der Menschen, die auch ihn umgaben, bestehen zu können. Schon deswegen musste ich bei ihm und den zwei älteren Töchtern bleiben. Die vier kleineren Prinzessinnen gingen mit Nafteta.
Man sah Echnaton und Nofretete am anderen Morgen an, dass sie in dieser Nacht nicht einen Augenblick geschlafen hatten. So sehr sie sich auch Mühe geben mochten, es gelang ihnen nicht, ihr Leid und ihren Kummer hinter einem majestätischen Blick vor den Menschen zu verbergen. Eng umschlungen standen beide auf Echnatons Prunkwagen und fuhren vor Sonnenaufgang langsam und bedächtig, nicht rasend und eine Staubwolke hinter sich herziehend wie sonst, vom Nordpalast zum Gempa-Aton. Der gesamte Hofstaat folgte.
Wie an jenem Tag, als Nafteta die Stadt und den Tempel des Aton zum ersten Mal betreten hatte, empfing sie der wunderbare Gesang eines unsichtbaren Chores, sie und ihr Gemahl legten auf den vielen Altären Opfergaben nieder, und sie begaben sichschließlich in den dritten, kleineren Hof. Dort stiegen sie zusammen mit den Prinzessinnen über die zweiundvierzig Stufen hinauf auf das Podium und nahmen auf ihren
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