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Im Land des Falkengottes. Echnaton

Im Land des Falkengottes. Echnaton

Titel: Im Land des Falkengottes. Echnaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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Thronen Platz. Mit seiner Linken ergriff Echnaton die rechte Hand Nofretetes und ließ sie nicht mehr los. Sie sahen sich noch einmal kurz an, dann schlossen sie die Augen, um still betend und zu den Gesängen des Chores das Erscheinen Atons über dem Allerheiligsten zu erwarten. Der Gesang verstummte und bedeutete so dem Herrscherpaar, dass bald die ersten Strahlen Atons über den Bergen hervorblitzen würden. Echnaton und Semenchkare erhoben sich und begannen beide, mit fester Stimme zu sprechen:
     
    «Schön erscheinst Du
    am Horizont des Himmels,
    Du lebendige Sonne, die das Leben bestimmt.
    Du bist aufgegangen am östlichen Himmel
    Und hast jedes Land mit Deiner Schönheit erfüllt.
    Du bist schön, gewaltig und strahlend,
    hoch über allem Land.»
     
    Sie beteten gemeinsam den Sonnengesang Echnatons in seiner ganzen Länge, und wir alle, die wir um sie herumstehen durften, hörten ihnen gebannt zu.
     
    «…   Du bist in ihrem Angesicht,
    aber unerforschlich in Deinem Lauf.»
     
    Wie Recht Echnaton wohl hatte. Gerade an diesem Tag des Abschieds begriff ich erst so manches von dem, was ich schon so oft gehört hatte.
     
    «…   wie zahlreich sind Deine Werke,
    die vor unserem Angesicht verborgen sind,
    Du einziger Gott, der seinesgleichen nicht hat.»
     
    Wie würde Nofretete damit zurechtkommen, dass in Waset nicht Aton allein verehrt wurde, sondern der Amunkult über allem anderen stand und die Stadt beherrschte? In Waset war Aton wahrhaftig nicht der größte Gott, den man anbetete.
     
    «…   jeden stellst Du auf seinen Platz
    und sorgst für dessen Bedürfnisse.
    Ein jeder hat seine Nahrung,
    seine Lebenszeit ist vorherbestimmt.»
     
    Ist vorherbestimmt. Uns allen. Ich sah hinauf zu Echnaton, zu meiner Tochter und den Mädchen. Würde ich womöglich einen von ihnen überleben müssen? Entsetzlicher Gedanke! Ich alter Mann wollte keinen von ihnen überleben. Aber wer hatte es in der Hand?
    Echnaton und Nofretete beteten unaufhörlich weiter:
     
    «…   Du bist die Lebenszeit selbst,
    man lebt durch Dich.
    Die Augen ruhen auf Schönheit, bis Du untergehst,
    alle Arbeit wird niedergelegt,
    wenn Du untergehst im Westen.»
     
    Welch schönes Bild das war! So wollte ich sterben: Meine Augen sollten seinem Lauf folgen, bis er unterging. Wenn er unterging im Westen, wollte ich meine Arbeit, meine Hände für immer niederlegen. Doch welcher Sterblicher durfte es schon wagen, solche Ansprüche zu erheben? Es würde immer und ewig das große Geheimnis für uns Menschen bleiben, wann wir zu gehen hatten und was uns danach erwartete.
     
    «Seit Du die Welt geschaffen hast, erhebst Du sie
    für Deinen Sohn, der aus Deinem Leib hervorgegangen ist,
    den König von Ober- und Unterägypten,
    den Herrn der Beiden Länder Neferchepru-Re Waen-Re,
    Sohn des Re, der von der Maat lebt, den Herrn der
    Kronen, Echnaton, mit langer Lebenszeit,
    und für die Herrin der Beiden Länder, Semenchkare
    Djoserchepru-Re Meri Waen-Re,
    die lebt und sich verjüngt
    für immer und ewig.»
     
    Semenchkare Djoserchepru-Re hieß sie jetzt. «Mit dem wohltätigem Ka des Re, mit den heiligen Gestalten des Re» bedeutete ihr Name. Geliebt vom Einzigen des Re, ja, das war sie. Zu dem Gesang, der jetzt wieder einsetzte, stiegen mächtige Weihrauchwolken empor, deren Schwaden sich überschlugen in ihrem Eifer, zu Aton zu gelangen. Sie erfüllten alles mit dem heiligsten aller Düfte.
    Die königliche Familie stieg herab und zog zwischen den Wedelträgern durch die Höfe des Tempels in den Stadtpalast. Die beiden Herrscher gingen hinauf zu dem geschlossenen Durchgang, der die beiden Palastgebäude über den Königsweg miteinander verband, und traten an das Erscheinungsfenster. So weit sie sehen konnten, blickten sie jetzt nach Norden und nach Süden auf die Bewohner von Achet-Aton, die – wie es schien: ausnahmslos – gekommen waren, um ihre Königin noch einmal zu sehen, ehe sie nach Süden fuhr. Ungewöhnlich lange verharrten Echnaton und Nofretete im Erscheinungsfenster, blickten in beide Himmelsrichtungen und konnten sich nur schwer entschließen zu gehen.
    Die Mächtigen Ägyptens waren derweil in den Audienzhof des Palastes gezogen, um dort das Herrscherpaar zu verabschieden.
    Dreimal warfen sich alle vor Echnaton in den Staub, und noch drei weitere Male vor Semenchkare. Das ohrenbetäubende Dröhnen der Kriegstrommeln und das Lärmen der Schwerter und Streitäxte, mit welchen die Soldaten wieder gegen ihreSchilde schlugen,

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