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Im Land des Falkengottes. Echnaton

Im Land des Falkengottes. Echnaton

Titel: Im Land des Falkengottes. Echnaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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ein unscheinbarer Fingerzeig seiner allmächtigen Hand hätte genügt, und das Leben eines Gefangenen in Achet-Aton hätte ein Ende gehabt. Wer hätte ihn daran hindern mögen, so oft hierher zurückzukehren, wie er mochte? Eine Insel der Glückseligkeit hätte diese Stadt für alle Zeiten bleiben können, und gern wären die Menschen aus allen Teilen der Beiden Länder hierher gekommen, um dem Gott Echnatons zu huldigen, wie sie nach Achmim fuhren, nach Memphis oder in die Oase Fajum, um Min, Ptah oder Sobek zu verehren.
    Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, um mit Tutanchaton, mit Meritaton und Maketaton die königliche Flotte zu besteigen und um als wahrer und einziger Herrscher Ägyptens nach Waset zurückzukehren. Nofretete hätte ihn mit offenen Armen empfangen, Ägypten wäre glücklich gewesen und hätte seinen Pharao mehr verehrt und geliebt als je zuvor. Aber er wäre nicht er selbst gewesen, er hätte sich auf das Erbärmlichste selbst verleugnet, hätte er dem unverändert lauten Drängen seiner Untertanen nachgegeben. Es gab keinen Weg zurück.
    Niemand nimmt Rücksicht auf den Schmerz eines Menschen. Die Menschen selbst tun es nicht, und auch die Götter kennen kein Erbarmen. Warum sollte Aton eine Ausnahme machen? Es gibt so viele Schicksalsschläge, die uns Menschen treffen können, Krieg und Seuchen, Hungersnöte, Feuersbrunst und Tod. Ja, vor allem der Tod. Glauben wir nicht, wir hätten nach dem Tod eines geliebten Menschen eine Ruhepause verdient,ehe uns ein anderer Schlag niederbeugen darf? Haben uns die Götter nicht eine Schonfrist zuzugestehen, damit wir überhaupt imstande sind, die Last des Lebens zu ertragen, um nicht zu verzweifeln, um nicht den Verstand zu verlieren? Niemand fragt danach. Kein Mensch, kein Gott. Hat man mich gefragt nach dem rasch aufeinander folgenden Tod meiner Eltern «Eje, kannst du wieder aufrecht stehen? Bist du wieder stark genug, eine weitere Prüfung zu ertragen?»
    Im Zustand des vollkommenen Glücks, bei der Geburt meiner ersten Tochter musste ich mit ansehen, wie das Liebste, das ich je besaß, wie meine Merit viel zu jung hinübersank in das Reich des Todes. Ich musste miterleben, wie Ti von mir ging, ohne Anzeichen von Krankheit, ohne jede Möglichkeit zu helfen. Und wie schön hatten wir uns unser Leben eingerichtet! Den besten, den einzigen Freund, den ich je hatte, Amenophis, der über so viele Jahre der Inhalt meines Lebens war, der mich zu dem machte, was ich war, der mich formte, den ich formen durfte, auch er starb in meinen Armen. Fragte mich je ein Min, ein Ptah oder ein Aton, ob ich noch mehr zu ertragen bereit war?
    Auch einen Pharao fragen sie nicht. Selbst er ist machtlos, wenn die Gefahr näher kommt. Unbemerkt, unbeachtet kommt sie, schleicht sich als Krankheit in den Körper ein, fällt als ein zufällig losgetretener Stein herab oder stellt sich als Herde wild gewordener Flusspferde in den Weg. Der Löwe reißt das Schaf dort, wo er es bekommt. Skorpione und Schlangen lauern überall, unter jedem Stein, im Gebüsch, im Haus, im Garten.
    Auch an diesem entsetzlichen Tag lauerten sie. Niemand weiß, wie lange schon. Die Viper hat Zeit. Sie irrt nicht jagend umher, wie der Löwe, sie muss nicht unendlich viele Kreise ziehen, wie der Falke, ehe er seine Beute greifen kann. Die Viper liegt still und wartet. Sie wartet einfach nur, wie sie es seit Urzeiten schon tat.
    Das Mädchen, das unschuldigste Wesen des Palastes, ahnte nichts. Sie hatte das fröhlichste Lachen aller Kinder, die ehrlichstenAugen, und auch sie war schön wie ihre Mutter. Maketaton war das Liebste, was Echnaton je besessen hatte. Warum nur spielte sie an jenem Tag im Palastgarten! Warum schlossen ihr Lehrer und ihre Kammerfrau im Schatten einer Dumpalme für wenige Augenblicke die Augen! Warum musste das Mädchen ausgerechnet diesen Stein hochheben? Konnte es nicht irgendein anderer sein?
    Die Hornviper war gewiss schnell, zu schnell, als dass das Kind noch hätte ausweichen und davonlaufen können. Sie schrie nicht einmal. Nicht größer als Nadelstiche waren die beiden kleinen Bisswunden an ihrem rechten Arm. Aber es war der Biss einer Hornviper, der giftigsten Schlange, die es in Ägypten gab.
    Echnaton kam in den Garten, um sich ein wenig auszuruhen. Er selbst war es, der die kleine Prinzessin liegen sah, und er glaubte noch, sie wäre eingeschlafen. Liebevoll beugte er sich über sie und küsste sie auf die Wange. Doch Maketaton erwachte nicht mehr. Mit einem lauten

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