Im Land des Falkengottes. Echnaton
ihr durchdringendes Kreischen zu uns hinab. Vor dem Grab war das rituelle Totenmahl schon vorbereitet, doch ehe Pharao Platz nahm, ließ er sich von seinem Leibdiener das Nemes-Kopftuch abnehmen und Stirn, Kopf und Nacken vom Schweiß abtrocknen. Wir verzehrten schweigend die mitgebrachten Speisen und Getränke.
Währenddessen füllten die Arbeiter den ersten Gang des Grabes mit Schutt auf und mauerten den Eingang am Ende der ersten, kurzen Treppe zu. Dann erhob sich Pharao und drückte auch in den Putz dieser Mauer ein letztes Mal das Siegel der Totenstadt, das in drei übereinander liegenden Reihen je drei kniende und gefesselte Gefangene zeigte, die Feinde Ägyptens, und darüber den liegenden Schakal, Anubis. Noch während der Zugang bis zur Unkenntlichkeit verschüttet wurde, bestiegen Nimuria und Teje die königliche Sänfte, und der Trauerzug verließ das Tal der Toten.
Jetzt, da die Klagefrauen schwiegen, vernahm ich jedes Geräusch. Das Knirschen des Sandes unter den Rädern der Karren, das schwere Schnaufen und Brummen der Stiere, das heimliche Flüstern der Soldaten und das gekünstelte Hüsteln der Oberpriester, die damit zum Schweigen mahnten.
Je näher wir dem Palast kamen, um so mehr Leben kehrte in den Zug zurück, die Menschen ließen sich nicht mehr davon abhalten, miteinander zu sprechen. Nafteta ging neben PrinzAmenophis, und sie hielten einander zärtlich bei der Hand. Neben mir gingen Ti und Mutnedjemet. Ich musste beiden von den überwältigenden Schätzen im Grab von Osiris Amenophis, dem Großvater Nimurias, berichten. Und selbst das Herrscherpaar unterhielt sich, wenn auch sehr leise und unauffällig. Mir schien es, als wollten wir alle damit eine schnellere Rückkehr zu einem unbeschwerteren Leben herbeireden oder geradezu erzwingen.
Den Priestern entging dies nicht. Je mehr Menschen jetzt das Gebot des Schweigens brachen, um so missmutiger erschienen sie mir, ihre Köpfe wurden dunkelrot vor Zorn, und die Adern schwollen an ihren Schläfen.
Mir gefiel es.
Es war augenfällig, wie sehr sich Pharao, und mit ihm der ganze Hof, Mühe gab, zum alltäglichen Leben zurückzukehren. Es gehörte zu den ureigensten Aufgaben unseres Herrschers, Maat, unsere göttliche Ordnung, zu wahren und sie – wenn sie einmal gestört war und Isfet, das Chaos, herrschte – wiederherzustellen. Die Menschen unseres Landes mussten darauf vertrauen können, dass ihnen das Schicksal, dass ihnen alle Götter gewogen waren. Die siebzigtägige Trauer musste ausreichen, um den Verlust eines auch noch so geliebten Menschen als von den Göttern gewollt zu begreifen und anzunehmen. Danach aber hatte ein jeder seinen Aufgaben nachzugehen, gleich ob das Herz noch voll Trauer war oder nicht.
So lag es nun an Nimuria und seinem Sohn, dem Leben entlang des Flusses wieder seinen Sinn zu geben, jeden Tag aufs Neue.
Prinz Amenophis zögerte keinen Augenblick, sich seiner Aufgabe als Thronfolger und künftiger Herrscher Ägyptens mit allen Kräften zu stellen. Er nahm an jeder Versammlung des Thronrates teil, er besuchte alle erreichbaren Baustellen seines Vaters, er ließ sich in die Kulte der Tempel einweisen, und es gab kaum eine Amtsstube, in welcher er nicht irgendwann ohneVorankündigung erschienen wäre. Dabei war es jedoch nicht seine Art, gefallsüchtig oder belehrend aufzutreten, vielmehr lag ihm daran, dass möglichst viele seiner künftigen Untertanen ihn einmal aus der Nähe erleben und beobachten konnten.
Zu Anfang begleitete ich meinen Schüler noch bei seinen Gängen durch die Baustellen und Schreibstuben Wasets und seiner Umgebung. Nach einigen Monaten beschränkte sich meine Gegenwart auf die Versammlungen bei Hofe. Die Wirkung, die der Prinz dort auf seine Umgebung ausstrahlte, war eigenartig. Anfangs war er mit seiner Meinung noch zurückhaltend und beschränkte sich nur aufs Zuhören. Mit der Zeit häuften sich seine Fragen, und es dauerte nicht mehr lange, da galt ein Rat aus seinem Munde als gewichtig und weise vor all den Großen des Landes.
Der Prinz konnte es beispielsweise nicht hinnehmen, wenn ein Beamter ohne eingehende Untersuchung eines Vergehens für schuldig befunden wurde und der Rat kopfnickend der vorgeschlagenen Bestrafung zustimmte.
«Woher wisst Ihr», fragte Amenophis den Wesir, nachdem dieser die Bestrafung von Aper-el, des königlichen Lagerverwalters von Men-nefer, gefordert hatte, «woher wisst Ihr, dass Aper-el Getreide unterschlagen hat?»
Der Wesir verneigte sich
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