Im Land des Falkengottes. Echnaton
Morgen, noch ehe Re über der östlichen Wüste emporgestiegen war, setzte sich der Trauerzug im Palast der goldenen Sonne in Bewegung.
Allen voran zogen Priester mit dampfenden Weihrauchpfannen, Soldaten mit den Standarten des verstorbenen Prinzen und eine unüberschaubare Menge von Klagefrauen. Sie kreischten und brüllten so laut, als müssten sie allein von der Trauer künden, die uns alle erfüllte. Sie rauften sich die Haare und zerkratzten sich in ihrem Schmerz und ihrem Gram mit den Fingernägeln Brust und Gesicht, sodass bei manchen von ihnen Blut aus den Wunden hervortrat. Ihnen folgten zwei mächtige Holzkarren, jeder von einem Gespann schwarzer Stiere gezogen. Auf ihnen wurden die schweren Grabbeigaben – Figuren aus Stein und vergoldetem Holz, ein Schiffsmodell und Tonkrüge mit Bier und Wein – und die Eingeweidekrüge aus Alabaster in das Totental gebracht. Auf den Schultern von Priestern und Soldaten ruhten Tragestangen, an welchen Truhen hingen, die den Schmuck und die Kleidung des Prinzen, seine Waffen, das Schreibzeug und Arbeiterfiguren bargen. Andere trugen Stühle, ein in seine Einzelteile zerlegtes Bett, ein Senetspiel und Holzkästen mit Götterfiguren aus Holz oder Gold. Thutmosis erhieltbei weitem nicht so viele Grabbeigaben wie ein Pharao, zumal er in einem bereits belegten Grab beigesetzt wurde. Gleichwohl war der Schatz, der die Mauern des Palastes verließ, beachtlich.
All den Grabbeigaben folgte der Sarg mit Prinz Thutmosis. Er ruhte auf einem mächtigen vergoldeten Holzschlitten und wurde von einem dunkelblauen Leinentuch, welches an allen Seiten weit herunterhing, verdeckt. In die Mitte des Tuches, über der Brust des Toten, war mit Goldfäden Thutmosis’ Namen eingestickt. Sechs Stiere zogen den Schlitten, und hinter ihm trugen zwölf Nubier die königliche Sänfte mit Pharao und der Großen königlichen Gemahlin.
Die Blicke des Königspaares waren unentwegt und starr auf den verdeckten Sarg vor ihnen gerichtet. Nichts konnte sie ablenken, sie abbringen von ihrem so verzweifelten Blick auf ihren toten Sohn. Nicht das gleichmäßige Schaukeln der Sänfte, nicht das unaufhörliche Wedeln der Diener, die rechts und links neben ihnen gingen und mit den Fächern aus Straußenfedern die Hitze zu lindern versuchten. Amenophis wirkte matt und in sich zusammengesunken, mit herabhängenden Schultern. Er hatte unendlich traurige und doch so leere Augen. Auch der Blick meiner Schwester Teje war nicht mehr der stolze von einst, nicht der Achtung gebietende, der herablassende Blick der Herrscherin, sondern der einer besiegten Mutter, die sich dem unfassbaren Schicksal beugen und wider den natürlichen Ablauf der Dinge den Sohn zum Grab begleiten muss. Es war, als würden wir Tejes Herz selbst zu Grabe tragen.
Hinter dem Königspaar ging Prinz Amenophis. Ja, er ging, so wie alle anderen zu Fuß gingen, wenn Pharao in seiner Sänfte getragen wurde. Auch er wurde von zwei Wedelträgern begleitet, und er hielt ein kleines Kästchen aus Ebenholz in seinen Händen. Er hat mir nie verraten, was es barg. Ich ging unmittelbar hinter Amenophis, und so vernahm ich Ton für Ton die unendlichen Trauermelodien, die er leise und im Glauben, niemand würde ihn hören, vor sich hin summte.
Gewiss, auch sein Gesichtsausdruck war ernst, aber nicht starr. Als suchte er ein fernes, noch unentdecktes Ziel, ließ er seine Blicke über das Land schweifen. Über die Trauernden hinweg zu den Bergen, hinter denen das Totental lag, entlang der Totentempel, die sich vom Palast bis zum Anstieg auf die Berge hinzogen, und hinüber zum Fluss, der zwischen den breiten Streifen fruchtbaren Landes träge nach Norden floss. Und er sah immer wieder nach Osten, wo jetzt schon hoch über Waset Aton, die Sonnenscheibe, die Herrschaft über die Erde ergriffen hatte und seine Leben spendenden Strahlen auf uns herabscheinen ließ.
Was mochte in ihm vorgehen? War er wirklich nur erfüllt von der Trauer um den geliebten Bruder? War er in Gedanken bei Merire und dessen Schatzkammer im Tempel des Re in On? Oder sann er nicht doch schon darüber nach, wo einst sein Totentempel errichtet werden würde, jetzt, da die Schar der Trauernden gerade am gewaltigsten aller Totentempel, dem seines Vaters Nimuria, vorüberzog. Sah er sich schon als Pharao – allein über Ägypten und die übrige Welt herrschend? Oder bestaunte er doch nur schweigend die einzigartige Landschaft, das fruchtbare Grünland einerseits, darin die lebendige Stadt,
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