Im Land des Falkengottes. Echnaton
und das karge Gebirge andererseits – öd, leer, ohne Leben und doch die Ewigkeit verheißend? Wer konnte es wissen? Ahnte denn jemand den Gedanken, welchem ich gerade nachhing?
Mir folgten Ti, Nofretete und Mutnedjemet, ihnen der Wesir, der Sandalenträger Seiner Majestät, die obersten Priester aller Tempel von Waset und all die übrigen Mächtigen unseres Landes, zuletzt die Leibgarde Pharaos. Es brauchte gewiss mehr als zwei Stunden, ehe der Trauerzug den Eingang zum Tal erreicht hatte. Dann drangen wir ein in das Reich der ewigen Stille, wo nichts wächst, nichts blüht, kein Leben sein kann außer Schlangen und Skorpionen. Die roten Felsen ragten rechts und links steil empor, und nach wenigen Windungen des von der Natur aufgezwungenen Weges bogen wir scharf nach rechts ab und endetenvor einem Gebirgsmassiv, dessen oberer Teil mich an zwei aneinander gewachsene schiefe Türme erinnerte.
Am Fuß dieser Angst einflößenden Klippen erkannte ich zwischen frischen Schutthaufen ein finsteres Loch, den unscheinbaren Einstieg in ein Grab, den Zugang in die Tiefen der Unterwelt.
Es war das Grab von Pharao Amenophis Aa-chepru-Re, des Großvaters unseres Herrschers. Er war der zweite Amenophis auf dem Thron der Beiden Länder, der diesen Namen trug.
Unter meiner und des Wesirs Anleitung trugen Soldaten und Priester die Grabbeigaben in die Tiefen des Grabes. Währenddessen nahm die königliche Familie vor dem Grab Abschied von Prinz Thutmosis, vollzog Pharao das Ritual der Mundöffnung.
Eine Treppe von nur acht Stufen führte hinab zum ersten Gang, es folgten in gerader Linie eine zweite Treppe und ein zweiter Gang, welcher vor dem tiefen Schacht, dem Symbol des Ursumpfes, endete. Ihn überquerten wir über drei nebeneinander liegende starke Holzbohlen und gelangten so nach links abbiegend in den großen Vorraum der Grabkammer. Bis hierhin waren sämtliche Wände des Grabes nur weiß getüncht. Zwei unterschiedlich starke, viereckige Pfeiler trugen die flache Decke, und zwischen den Grabbeigaben des mächtigen Osiris Amenophis hindurch führte am Ende dieses Raumes eine Treppe mit elf Stufen nach unten in einen weiteren schmalen Gang, welcher in die eigentliche Grabkammer mündete.
Der Anblick dieses Raumes im flackernden Schein von Öllampen ließ mich den Atem anhalten. Sechs viereckige Pfeiler trugen eine gewaltige, dunkelblaue Decke, die mit Tausenden und Abertausenden goldener Sterne übersät war. Die Wände des Raumes und die Flächen der Pfeiler waren bis in Kniehöhe mit matter nachtblauer Farbe gestrichen, dann folgten abwechselnd schmale blaue, weiße und rote Streifen, und darüber erkannte ich in drei übereinander liegenden Registern das vollständige Amduat, das Buch über das, was in der Unterwelt ist. Die einzelnenRegister hoben sich durch hellrote und blaue Streifen voneinander ab. An allen Wänden der Pfeiler sah ich Amenophis Aa-chepru-Re vor den Göttern Osiris, Hathor und Anubis. In dünnen schwarzen Strichen waren Pharao und die Götter auf hellem Grund gezeichnet, und nur die Sonnenscheibe auf dem Kopf der Hathor prangte goldumrandet in frischem Rot. Dies verlieh den Bildern eine Leichtigkeit und Klarheit, die durch das Dunkel der Decke und der übrigen Wände noch verstärkt wurde.
Langsam und ehrfürchtig bahnte ich mir meinen Weg durch die Grabbeigaben, die seit dreißig Jahren in der Finsternis des Grabes ruhten. Ich roch den würzigen Duft der heiligen Öle, mit denen sie übergossen wurden, und ich fühlte mich als Eindringling, den unsichtbare Mächte mahnten, diesen geheiligten Ort zu verlassen. Über einer lebensgroßen Holzfigur von Osiris Amenophis hing ein schwarzes Leinentuch, dessen zwei Enden auf der Brust des Herrschers verknotet waren wie ein Umhang, was der Figur eine Schrecken erregende Lebendigkeit verlieh. Als ich am Ende der Pfeilerhalle angelangt war, führte eine sechsstufige Treppe in einen tiefer gelegenen Raum hinab, in dessen Mitte ein gewaltiger goldener Schrein emporragte, der den Sarkophag mit dem berühmten Herrscher beherbergte. Rechts und links dieses Raumes führten je zwei Türen zu kleineren Nebenkammern. Die erste hatte Nimuria für die Grabbeigaben seines Sohnes bestimmt, die zweite für die Eingeweidekrüge und den Sarg des Prinzen selbst.
Ich blieb am Eingang der ersten Nebenkammer stehen und verharrte dort schweigend, bis alle Grabbeigaben ihren Platz gefunden hatten. Dann vermauerten zwei Vorarbeiter der Totenstadt den Zugang und verputzten ihn.
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