Im Land des Falkengottes. Echnaton
Segenswünsche standen, eine selbst gefertigte Götterstatue aus Holz oder Speckstein oder ein kleines Keramikgefäß aus ihrem eigenen bescheidenen Hausstand. Nafteta bedankte sich bei allen, und so sehr sie sich um Beherrschung bemühte, rannen einige Tränen über ihre Wangen.
«Kommst du nie mehr zu uns zurück?», fragte Mutnedjemet mit so unschuldiger Kinderstimme, dass es uns allen die Kehlen zuschnürte. Nafteta nahm ihre kleine Schwester auf den Arm, streichelte ihr über den Kopf und sagte: «Wir sehen uns so oft wie du willst und wo du willst. Ich verspreche dir das!»
«Unseretwegen musst du nicht weinen», sagte ich zu Nofretete, als sie sich mir und Ti zuwandte. «Wir werden dich hinüberbegleiten.»
Sichtlich erleichtert fiel sie endlich ihrem Bräutigam um den Hals und bestieg mit ihm den Wagen. Amenophis wartete, bis auch Ti und ich unseren Wagen bestiegen hatten, dann brachen wir auf. Unter dem lauten Abschiedsgeschrei all meiner Bediensteten verließ Nafteta ihr Zuhause.
Unser Weg führte mitten durch die Stadt, wo unzählige neugierige Menschen auf unseren kleinen Zug gewartet hatten und nun dem Brautpaar zujubelten und Blumenblüten warfen. So dauerte es ungewöhnlich lange, bis wir den Nil und die Anlegestelleerreichten. Auf der anderen Seite des Flusses standen die Soldaten Pharaos dicht an dicht und bildeten ein Ehrenspalier bis zur großen Halle im Palast der leuchtenden Sonne. Jetzt, nachdem wir das westliche Ufer erreicht hatten, übernahm ich selbst die Zügel meines Wagens und ließ meinen Wagenlenker absteigen. Ich wusste, dass es Prinz Amenophis nicht fertig bringen würde, in gemäßigter Geschwindigkeit zum Palast seines Vaters zu fahren. Er und auch Nafteta liebten es einfach zu sehr, dem Rausch der Geschwindigkeit zu verfallen, und ließen den Pferden freien Lauf.
Es wehte reichlich Westwind, sodass ich nur genug Abstand halten musste, um nicht ständig in der gewaltigen Staubwolke des vor mir fahrenden Gespanns zu verschwinden. So rasten wir erst in westliche Richtung direkt auf das Gebirge zu, vor uns der Totentempel Nimurias, und es schien, als wollten uns seine beiden Steinfiguren in Empfang nehmen. Die Sonnenscheibe stand noch über den Bergen, aber ihre Leuchtkraft war schon geschwächt, sodass alles vor ihr in goldgelbem Licht versank. Kurz vor den steinernen Riesen Pharaos bogen wir scharf nach links. Ich presste meine Hüfte gegen die rechte Wagenwand und bog meinen Oberkörper nach links, um nicht aus dem Wagen geworfen zu werden. Ti umklammerte mit beiden Händen ihre Haltegriffe und sah mich mit vorwurfsvollem, bittendem Gesicht an, damit ich mit dem Rasen aufhörte. Doch vor uns lag jetzt die unendlich lange Gerade, die uns zum Palast der leuchtenden Sonne führte. Mein Schüler und ich dachten gar nicht daran, langsamer zu fahren. Mit lauter Stimme rief ich Ti zu: «Du musst keine Angst mehr haben! Es geht nur noch geradeaus bis vor die Füße Pharaos!»
Ich war mir jedoch sicher, dass alle Soldaten, die den südlichen Rand unseres Weges zum Palast säumten, über uns einen kleinen Fluch ausgesprochen hatten, denn jeder von ihnen musste regungslos den Staub von zwei rasenden Gespannen ertragen. Aber ich dachte mir, dass die Zeiten so friedlich waren,dass ein Soldat wenigstens den Staub eigener Streitwagen von Zeit zu Zeit riechen musste.
Einige hundert Ellen vor dem Haupttor des Palastes wurde Amenophis langsamer und ließ die Pferde im Schritt gehen. Dann drehte er sich nach mir um und rief: «Ehrfurcht, Schwiegervater! Ehrfurcht! Wirklich, du hast nichts verlernt!»
«Ich dachte», rief ich laut zurück, «das hätte ich dir schon in Men-nefer bewiesen!»
Ehe wir weiterreden konnten, erschallten auf den Palastmauern die Fanfaren und Kriegstrommeln Pharaos.
Als unsere Gespanne das Tor, von dem unzählige bunte Fahnen herabhingen, durchfuhren, regneten von oben unentwegt weiße Blütenblätter herab, so viele und so dicht, dass wir erst wieder etwas sehen konnten, als wir den ersten Hof erreicht hatten. Er war voll von schreienden, jubelnden Menschen, und die Leibgarde hatte Mühe, für unsere Wagen eine schmale Gasse freizuhalten.
Die Menschen waren übermütig und riefen unentwegt «Nafteta» und «Ameni», den Kosenamen Pharaos, und meinten damit doch den Prinzen. Jetzt durchfuhren wir das zweite Palasttor, welches den Namen «Blaues Tor» trug, da es vollkommen mit Fliesen in der Lieblingsfarbe Pharaos, in Lapislazuliblau, belegt war. Hier regneten blaue
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