Im Land des Falkengottes. Echnaton
zuvor. Meinem Haus wurde an diesem Tag die größte Ehre zuteil, die einem Sterblichen in unserem Land wiederfahren kann: Der Thronfolger nimmt vor den Augen aller Großen der Beiden Länder meine Tochter zur Frau. Ja, alle waren sie hier versammelt: beide Wesire, Ramose und Ptahmose, der Schatzmeister Acha, die Baumeister Seiner Majestät Hor und Suti, der alte Kommandant Ptahmay und die übrigen Generäle aller Divisionen, mein alter Freund Tahuti, der Verwalter der Domäne des Amun, die Vorsteher der Paläste Cheruef und Aper-el, die Sandalenträger Seiner Majestät, die Bürgermeister aller großen Städte, die ersten Priester des Landes und ihre Verwalter und sogar Amenophis, Sohn des Hapu, der jetzt schon weit über siebzig Jahre altwar. Der weiseste aller Weisen wurde schon zu Lebzeiten wie ein Gott verehrt, und niemandem außer ihm wurde die Gnade gewährt, auf dem Westufer des Nils einen eigenen Totentempel errichten zu dürfen.
Als er erschien, gebückt und kahlköpfig, aber dennoch fein gekleidet und gepflegt, ließ die Würde, die er ausstrahlte, alle Anwesenden verstummen. Jeder horchte, mit welchen Worten er meine Familie und mich begrüßen würde.
«Wenngleich mich die Last des Alters ohnehin tagein, tagaus gebückt sein lässt, will ich mich vor Dir, edle Frau Ti, und vor Dir, geschätzter Eje, und auch vor Dir, kleine Mutnedjemet, in ehrlicher Verehrung verneigen. Ich freue mich für Euch und vor allem für Eure Tochter Nofretete, dass Eurer Familie so große Ehre zuteil wird.»
Dabei zeigte er sein immer noch etwas schelmisches Lächeln und ließ damit offen, ob er die Ehre seines oder Pharaos Besuchs gemeint hatte. Es war erstaunlich, dass sich dieser alte Mann nicht in irgendeine Ecke verkroch und darauf wartete, endlich wieder nach Hause zurückkehren zu dürfen, sondern sich innerhalb weniger Augenblicke unter die Anwesenden mischte und gut gelaunt Geschichten aus seinem langen Leben erzählte. Und es waren nicht immer die Ältesten, die Amenophis, den Sohn des Hapu, umgaben.
Kaum war Re hinter dem westlichen Gebirge entschwunden und begann die Nacht ihren dunklen Schleier über das Land zu legen, da erschallten von weitem die Fanfaren, um das Erscheinen Nimurias anzukünden. Soldaten der Leibgarde eilten im Laufschritt durch das große Tor meines Palastes und bildeten von dort bis zu meiner Gartenterrasse ein enges Spalier. Im Schein Hunderter Fackeln sah ich, wie die königliche Sänfte, die von zwölf Nubiern getragen wurde, auf mein Grundstück einbog. Auf ihr saßen außer Nimuria und Teje auch Prinz Amenophis und Prinzessin Sitamun. In dem Augenblick, in welchem die Sänfte niedergesenkt wurde, fielen alle anwesenden Gäste zuBoden. Am Knirschen des Kieses hörte ich, wie die königliche Familie abstieg, und dann erklang die feste Stimme Nimurias: «Erhebt euch!»
Ameni kam auf uns zu und reichte zuerst Ti und dann Mutnedjemet die Hand. Ti und ich legten der königlichen Familie die Blütenkränze um.
Danach umarmte Ameni mich und sagte – nicht laut, aber doch so, dass es viele meiner Gäste hören konnten: «Dass es einmal so weit mit uns kommen muss, hätte ich nicht gedacht, Eje. Du der Schwiegervater meines Sohnes und ich der Schwiegervater deiner Tochter!»
Teje schüttelte wegen dieser Bemerkung verständnislos den Kopf, aber Ameni und ich konnten nur lachen. Ich sah zu Teje.
«Liebe Schwester, weißt du eigentlich, was unsere Eltern alles durchgemacht haben, ehe wir erwachsen wurden? Du solltest es dir vielleicht einmal von Nimuria erzählen lassen. Aber nimm dir Zeit dafür!»
«Eje», erschallte es laut, und leise zischte sie hinterher: «Wann wirst du dich endlich zu benehmen wissen?»
Der Prinz tat das einzig Richtige: Er drängte sich zwischen seine Eltern, küsste erst Ti und Mutnedjemet auf beide Wangen, dann sagte er zu mir: «Eje! Ich kann es nicht erwarten. Willst du nicht endlich deine Tochter holen und sie zu mir führen?»
«Ein wenig wirst du dich noch gedulden müssen, Amenophis.»
«Ja», schloss sich Nimuria an. «Ich will erst noch die anderen Gäste begrüßen.»
Pharao, Teje, der Prinz und die Prinzessin nahmen auf der Terrasse unter einem kleinen Baldachin Platz, und nachdem man Nimuria zu trinken gereicht hatte, durften ausgewählte Gäste ihrem Herrscher gegenübertreten und ihm die Ehre erweisen. Jetzt war die Leibgarde in den Hintergrund getreten, die Musikanten begannen wieder ihr Spiel, und das Fest nahm seinen gewohnten Gang. Ich verneigte
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