Im Land des Falkengottes. Echnaton
nicht allein mit ihrem Gemahl, sondern als Begleiterin des Guten Gottes und der Großen königlichen Gemahlin, deren Amme sie einst war. Sie wusste, dass dieser Aufstieg für ihre Nachbarinnen und Bekannten von damals nicht vorstellbar war. Deswegen überlegte sie lange, ob sie sich überhaupt jemandem zu erkennen geben sollte. Aber sie wollte das Haus wieder sehen, das sie sich mit Maj, ihrem ersten Mann, gebaut hatte, jenes armselige Häuschen, das am Südrand von Napata lag.
Die Nachricht vom Tod des Königssohnes von Kusch war uns längst vorausgeeilt, und wo wir hinkamen, empfingen Pharao jubelnde Menschen, denen gleichwohl die Trauer um ihren offenbar sehr geliebten Herrn anzusehen war. Ganz Napata war auf den Beinen, als der unendlich lange Tross des Herrschers Einzug hielt, denn seit der Zeit des Feldzugs in Nimurias fünftem Regierungsjahr war kein König Ägyptens durch die Stadttore Napatas gezogen. Trotz der großen Menschenmenge dauerte es nicht lange, bis wir den bescheidenen Palast erreicht hatten, denn Napata war nicht groß. Es mochten zehntausend Menschen sein, die hier lebten. Viel mehr waren es gewiss nicht. Mir war aufgefallen, dass sich die Menschen von Napata beim Erscheinen Pharaos weitaus demütiger verhielten, als es die Menschen in Oberägypten und Unterägypten taten. Es war nicht allein Pharao, der zu ihnen kam, sie sahen in ihm vielmehr einen wahrhaften Gott.
Wie in Abu durchschritten wir auch hier einige kleine Höfe, ehe wir in den Audienzsaal gelangten. Seine Säulen waren nicht einmal halb so hoch wie die in den Palästen von Waset und Men-nefer, doch ähnlich wie im Tempel des Re in On fühlte ich auch hier das ganz alte Ägypten, das uralte, mythische und geheimnisvolleLand. Da war nichts von der Leichtigkeit der Baukunst wie im Norden. Die Säulen waren dick und unförmig, die Bilder an den Wänden wirkten umständlich, ja unbeholfen. Die abgebildeten Menschen wirkten auf mich eher wie Schriftzeichen denn als Darstellungen von Menschen. Sah man einen Mann in Trauerhaltung, so entsprach seine Darstellung genau dem Schriftzeichen für Trauern. Auch die Art, wie man Könige zeigte, hielt sich streng an die uralten Regeln. Die Räume hier strahlten noch mehr Würde, vielleicht auch mehr Ernst aus, als die bei uns in Waset. Hier war sicherlich noch nie gelacht worden. Ti sprach kein Wort, hatte sie doch den Palast früher nur von außen und mit größter Ehrfurcht betrachtet; jetzt sah sie sich alles umso erstaunter an.
Obwohl alle Beamten und alle Diener schon vom Tod ihres Herrn wussten und sich seit einigen Tagen auf unser Kommen einstellen konnten, machten sie einen sehr hilflosen und verwirrten Eindruck. Nur der Palastvorsteher selbst, Hapuseneb, wirkte gefasst. Bei ihm erkundigte ich mich schon am zweiten Tag nach dem Tempel des Amun von Napata. Ich erklärte ihm, dass es ein Wunsch Pharaos sei, am anderen Tag Opfer zu bringen. Der König, sagte ich ihm weiter, wolle aber nicht in großer Begleitung, sondern ohne großes Aufsehen zu erregen, dorthin gehen.
Alle Wege in der kleinen Stadt waren kurz, und so konnten wir früh am anderen Morgen, schnell und von den Bewohnern der Stadt fast unbemerkt, zum Tempel gelangen. Die Priester schienen außer sich vor Aufregung, dass Pharao mit so wenigen Begleitern und unangemeldet erschien. Sein freundliches Wesen, sein entgegenkommendes Auftreten ließen alle Vorbehalte jedoch schnell verfliegen. Eilfertig und doch voller Stolz, dass der Gute Gott ihrem Heiligtum seine Aufwartung machte, führten sie den obersten Priester der Beiden Länder durch die Vorhallen des Tempels und geleiteten ihn, Nafteta und mich bis in das Innerste des Heiligtums.
Es war nicht sehr geräumig. Nach Osten zu, dem Eingang gegenüber, unmittelbar neben der Südwand, gab es eine kleine Fensteröffnung. Doch erstaunlicherweise befand sie sich nicht wie sonst weit oben unter der Decke, sondern lag sehr tief, wie gewöhnliche Fensteröffnungen eines jeden Hauses. Amenophis öffnete unter der Anleitung des Ersten Sehenden den goldenen Schrein, ergriff die kleine goldene Statue des Amun und küsste sie. Dann wurde sie mit Wasser abgewaschen, und wie es Brauch war, schwenkte Pharao vor der Figur den goldenen Weihraucharm. Er trocknete den Verborgenen ab und stellte ihn zurück in den Schrein.
«Der Ort ist sehr ergreifend», sagte Waen-Re zu den Priestern. «Lasst uns allein hier im Gebet verweilen!»
Die vier Priester sahen sich erst verwundert an, doch dann
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