Im Land des Falkengottes. Echnaton
zum Tempel. Ähnlich wie in Ipet-sut war auch hier der Zugang zum Tempel prächtig gestaltet. Üppig wuchernde Sträucher und unzählige Schatten spendende Bäume säumten den Weg, und dazwischen standen die herrlichsten Figuren Hathors. Es genügte ein kurzer Blick, um darin das Antlitz Tejes zu erkennen. Pharao brachte die versprochenen Opfer dar, legte Brot, Gemüse und Früchte auf die Altäre, vergoss heiliges Wasser und warf Weihrauch in die Kohlebecken. Dann durchschritten wir Raum für Raum, bis wir schließlich das Allerheiligste betraten.
Auf der dem Eingang gegenüberliegenden Wand prangte hinter dem goldenen Schrein eine wunderschöne Abbildung der Göttin. Sie hielt ihren linken Arm ausgestreckt und wies so auf eine Scheintür an der Südwand des Allerheiligsten.
«Hathor von Sedenga zeigt dir den rechten Weg», wiederholte Pharao die geheimnisvollen Worte aus dem Tempel von Napata und richtete seine Blicke auf die Tür, die in Wirklichkeit nur ein symbolischer Durchgang für die Göttin war.
Die Scheintür war von kunstvollen Türstürzen aus Basalt umrahmt, auf das große Feld in der Mitte war eine Tür aufgezeichnet, und sogar Türangeln und Türriegel waren deutlich zu sehen.
«Nur der Weise und Gesegnete wandelt durch diese Tür», stand auf einem der kleinen Register unter dem Türsturz.
«Wenn Hathor gemeint wäre», flüsterte mir Amenophis zu,«dann müsste es ‹die Weise› heißen. Doch glaube mir, Eje, es ist nicht Hathor, die durch diese Tür gehen soll. Nicht Hathor», wiederholte er.
Dann ging er mit wenigen Schritten auf die Priester zu und fragte sie: «Welches Gebäude schließt sich hinter dieser Scheintür an?»
«Es sind die ehemaligen Unterkünfte des Königssohns von Kusch, Majestät. Er bewohnte sie, während er für Euren Vater Nimuria, er lebe, sei heil und gesund, die Arbeiten am Tempel beaufsichtigte. Jetzt stehen sie schon seit einigen Jahren leer. Euer Vater hatte einmal die Absicht geäußert, den Tempel an dieser Stelle um eine Halle zu erweitern.»
Die Priester verneigten sich jetzt demütig, dann sahen sie Pharao mit erwartungsvollen Augen an.
«Jetzt weiß ich, warum mir Hathor den Weg zu Euch gewiesen hat: Ich werde den Willen meines Vaters erfüllen und dieses Heiligtum verschönern. Ich will es ihm zum Geschenk machen zu seinem dreißigjährigen Thronjubiläum», sagte Amenophis mit dem freundlichsten und gütigsten Gesichtsausdruck, den man sich vorstellen konnte. Ich wusste nur zu genau, was er vermutete. Doch ich sprach ihn mit keinem Wort an. Wir kannten uns zu gut, als dass es irgendwelcher Worte, die jemand hätte belauschen können, bedurft hätte.
Noch bevor der Tross mit der königlichen Familie, mit Ti, Mutnedjemet und den vielen Begleitern Pharaos in Sedenga eintrafen, wurde auf königlichen Befehl mit dem Abriss des alten Anbaus begonnen. Waen-Re ließ eine kleine Arbeitersiedlung errichten, Arbeiter einberufen und schickte Schreiber in die Steinbrüche nach Norden, damit sie ihm Baumaterial beschafften.
Endlich war auch der große Tross eingetroffen. Über ganz Sedenga wurden sie verteilt, die Handwerker, Steinmetze, Maler und Musikanten, und obwohl die Bewohner der Stadt für die Unterbringung reichlich entlohnt wurden, waren die Begleiterdes Guten Gottes nicht überall willkommen, denn sie waren Fremde und machten nur Arbeit.
Die Abrissarbeiten gingen zügig voran, und während die Arbeiter Wand für Wand niederrissen und die Schutthaufen abtrugen, weihte Amenophis den Kommandanten der Leibgarde und fünf ältere Steinmetze in seine Pläne ein.
«Die Mauer des Tempels ist zwar hinter der Scheintür stärker als im übrigen Tempelbereich, jedoch kann ich ausschließen, dass der Platz für einen nennenswerten Raum ausreicht, Majestät», erklärte der Steinmetz Bek, als er Pharao von seinen Vermessungsarbeiten berichtete.
«Wir werden morgen diese Scheintür aufbrechen», sagte Amenophis und blickte mir dabei lange und tief in die Augen. Doch schien er sich nicht mehr viel Hoffnung auf eine Überraschung zu machen.
Der ganze Tempel war von Leibwachen so dicht umringt, dass selbst für eine winzige Pyramidenmaus ein Durchkommen unmöglich gewesen wäre. Früh am Morgen, noch vor Sonnenaufgang, standen wir mit Bek und seinen vier Begleitern vor der Scheintür. Bek sah seinen Herrscher an und wartete nur auf ein Zeichen. Amenophis nickte. Mit kräftigen Hieben schlugen die vier Steinmetze abwechselnd mit schweren Kupferhacken erst auf
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