Im Land des Falkengottes. Echnaton
drängte es uns alle zurück in das große und mächtige, in das strahlende Waset. Ich hatte Sehnsucht nach meinem Palast mit all seinen Vorzügen, ich sehnte mich nach meinem Garten. Nach dem Leben der großen Stadt, der reichen und lauten. Nach den unzähligen Menschen, die in ihr wohnten. Nach ihren prachtvollen Tempeln, die nirgendwo ihresgleichen hatten, nicht in Men-nefer, nicht in On und in Merwer, und schon gar nicht in irgendeinem anderen Land der Erde.
Das Herz Ägyptens schlug in Waset.
Unsere Heimreise nach Norden führte uns erst nach Sedenga, wo Pharao unter schwerster Bewachung seiner Leibgarde den Schatz von Merimes aus seinem Versteck bergen ließ. Von dort zogen wir wieder auf dem Landweg bis zur Elefanteninsel Abu, nördlich der ersten Stromschnelle. Wir bestiegen mit all unserer Habe die Schiffe und fuhren mit der Strömung und einem gleichmäßigen Südwind in drei Tagen nach Waset. Vorauseilende Boten hatten dort unser Eintreffen längst gemeldet, und so bereiteten Nimuria und Teje dem jungen Herrscherpaar einen prächtigen Empfang.
Das letzte Stück des Weges war wie stets, wenn Pharao nach Waset zurückkehrte, ein einmaliges Schauspiel. Unter vollen Segeln und unter den kräftigen Schlägen aller vierundzwanzig Ruderschwebte die Barke Pharaos inmitten der anderen Schiffe bis zur Hafeneinfahrt. Dann blieben auf ein knappes Kommando hin alle Ruderblätter starr im Wasser, sodass die Barke fast ruckartig an Fahrt verlor und nun langsam, ja majestätisch in das Hafenbecken einfuhr. Es war wie der Flug eines gewaltigen Geiers, der sich erst mit den gleichmäßigen und behäbigen Schlägen seiner Schwingen dem Horst nähert, sie dann kurz vor der Landung gegen den Wind stellt, um für einen Augenblick scheinbar in der Luft zu stehen, ehe er sich vorsichtig und gemächlich auf sein Nest niederlässt.
An Land kündeten Kriegstrommeln und Trompeten vom Erscheinen des jungen Königs, und noch bevor sich Amenophis und Nofretete von ihren Thronen erhoben hatten, um das Schiff zu verlassen, warfen sich die Menschen an Land zu Boden. Ich hatte es gewusst, dass die Begrüßung herzlich sein würde, und die Frage, ob Amenophis Waen-Re mit seinem Vorhaben in Nubien vielleicht gescheitert war oder nicht, war jetzt ohne jeden Belang.
Amenophis Waen-Re hatte es sehr eilig. Er stand auf meiner Terrasse und trat von einem Bein auf das andere.
«Wo bleibst du denn, Eje», rief er in den Palast hinein.
«Ich komme ja schon», rief ich zurück, ergriff im Vorbeilaufen ein Kopftuch und stand auch schon vor ihm.
«Wohin geht die Fahrt?», fragte ich ihn und runzelte die Stirn. Während wir die Terrasse verließen und zu den beiden Wagen gingen, die auf uns warteten, antwortete er:
«Zum Grab von Nebamun. Ich muss dir dort etwas zeigen, was du noch nie gesehen hast. Ich übrigens auch noch nicht.»
Vor uns fuhren zwei Gespanne der Leibgarde, und obwohl sie lauthals den Namen des Herrschers riefen und befahlen, Platz zu machen, kamen wir in der Stadt nur langsam vorwärts. Die Ungeduld Pharaos war nicht zu übersehen. Dann setzten wir mit einer Fähre über, und auf der anderen Seite des Flussesjagten die vier Gespanne endlich durch den Wüstensand, wie es sich gehörte.
Wenige Augenblicke später standen wir vor dem Grabeingang. Nebamun warf sich zu Boden, und Amenophis bemerkte nur knapp: «Steh auf, Nebamun. Ich habe nicht viel Zeit.»
Dann gingen wir hinein. Ich sah zunächst die üblichen Bilder von Jagden im Schilfdickicht, von Nebamun und seiner Frau vor Osiris und Bilder von einem Gastmahl.
«Hier, Majestät», flüsterte Nebamun schüchtern und zeigte auf einen Bildausschnitt an der linken Innenwand der Grabkammer.
Amenophis warf einen kurzen Blick auf das Bild, dann sah er mich an. «Was sagst du dazu, Eje? Ist es nicht einmalig?»
Vier Musikantinnen waren abgebildet, wie sie am Boden hockten. Von allen waren die nackten Fußsohlen zu sehen. Die Linke klatschte zur Musik, die Zweite hielt ihre Hände ruhig, und beide waren von der Seite abgebildet, da sie zu den anderen hinübersahen. Die Dritte und Vierte waren vollständig von vorne zu sehen. Ja, der Körper und das Gesicht der beiden Mädchen waren tatsächlich von vorne abgebildet! Ich sah beide Augen und beide Ohren. Die Dritte klatschte ebenfalls in die Hände, und ich muss gestehen, die Darstellung ihres Gesichtes konnte man nicht als gänzlich gelungen bezeichnen. Die Vierte aber war vollkommen! Mit leicht gesenktem Kopf spielte
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