Im Land des Falkengottes. Echnaton
hat, wird morgen zur Selbstverständlichkeit geworden sein. Was aber kann ein Künstler tun, um die Wahrheit wie ein Brandzeichen in Eure Köpfe einzubrennen? Er hebt das, was er für wichtig hält, was jedem besonders auffallen soll, über die Maßen hervor. Ja, er wird übertreiben. Und so werdet auch Ihr übertreiben. Ihr sollt so übertreiben, dass ein jeder erschrickt, der die Bilder und Figuren ansieht. Die Wahrheit, meine Wahrheit, soll ihn entsetzen! Aber jeder Betrachter soll sagen: Ja, das ist er! Das ist Amenophis Waen-Re mit seinen dicken Schenkeln, mit dem hervortretenden Bauch und der Brust eines Weichlings, mit den aufgeworfenen Lippen, um die ihn selbst Nubier beneiden würden. Das sind seine hervorstehenden Backenknochen und sein kräftiges Kinn.»
Wir alle sahen erst Pharao und dann uns staunend an. Wir dachten darüber nach, was er uns gesagt hatte, aber ich weiß nicht, ob einer von uns begriffen hatte, was er wirklich meinte.
Dann sagte Thutmosis: «Majestät! Befürchtet Ihr nicht, Euch durch diese Art der Darstellung zum Gespött zu machen? Befürchtet Ihr nicht den Verlust Eurer Macht, den Verlust von Anerkennung und Ehrfurcht? In Sudla war das vielleicht anders. Aber hier?»
«Thutmosis», begann Amenophis Waen-Re in seiner gewohnt ruhigen und sanftmütigen Stimme seine Antwort.
«Ich will den Menschen hier in Waset die Augen öffnen. Ich will ihnen die Augen öffnen, damit sie Aton erkennen. Und ich will, dass sie erkennen, was Wahrheit wirklich ist. Wer unschöne Dinge verschweigt, lügt zwar nicht, aber er lebt auch nicht in der Wahrheit. Wer aber laut und deutlich die Wahrheit sagt, wenn er sie hinausschreit, der sagt dennoch die Wahrheit. Meint Ihr, ich wüsste nicht, wie über mich geredet wird? Ja! Nimuria war in seiner Jugend ein Held! Keiner außer ihm selbst war in der Lage, den Bogen des Königs zu spannen. Keiner konnte so schnell schwimmen wie er. Keiner in den Beiden Ländern vermochtees, jeden Pfeil wie er ins Ziel zu schicken, sei es im Stand oder aus dem fahrenden Kriegswagen heraus. Aber sein Sohn: Ein Weichling ist er, der nur liest, Gedichte schreibt und schöne Musik liebt. Priester hätte er werden sollen, wenn er ohnehin nur den halben Tag über Aton und die übrigen Götter nachdenkt. Ja, so redet man über mich, und Ihr wisst es genau!»
«Du verlangst viel von deinen Untertanen, Amenophis», sagte ich, und meine Blicke fielen wieder auf die herrliche Figur vor mir. Ich wusste, was er meinte, aber ich wusste auch, dass die Künstler, die völlig ratlos dastanden, Angst bekamen.
«Lass Thutmosis eine Figur schaffen, wie du sie uns eben beschrieben hast, und aus irgendeinem Grund – und sei es, weil du schlecht geschlafen hast – gefällt sie dir nicht, fühlst du dich beleidigt und angegriffen. Wird dein Zorn nicht fürchterlich sein?»
«Niemals, Eje! Ich bin es doch, der sie dazu antreibt, das zu schaffen, was ich will. Es ist mein Wille, so dargestellt zu werden, wie ich es gerade beschrieben habe. Ich werde sie nicht tadeln. Ich werde sie nicht bestrafen. Im Gegenteil! Ich werde sie anhalten, die Wahrheit noch lauter hinauszuschreien als in Sudla, und zwar so lange, bis sie jeder in diesem Land begriffen hat, und wenn ich daran zugrunde gehen sollte. So sei es, und wenn Ihr wollt, so schreibt es nieder, um mich für immer darauf zu verpflichten!»
Die weit geöffneten Augen des jungen Herrschers leuchteten, seine Nasenflügel bebten, und die Muskeln seiner Wangen waren angespannt. Dann ging er auf Thutmosis zu, ergriff ihn an beiden Schultern, rüttelte ihn und sagte: «Thutmosis, geh hin und schaffe mir eine solche Figur aus Sandstein! Sie soll acht Ellen hoch sein und mich mit der Doppelkrone und allen übrigen Throninsignien zeigen. Beherzige, was ich gesagt habe! Und wenn diese Figur vollendet ist, werden wir uns wieder sehen. Ich verspreche Dir, dass Dein Lohn nicht gering sein wird.»
Ebenso leidenschaftlich forderte Pharao Bek und Men unddie Zwillinge Hor und Suti auf, Werke in seinem Sinne zu schaffen, sei es als gemaltes Bild oder als gemeißeltes Relief für die Außenwände der Tempel und ihre Tortürme.
Dieser Tag sollte an dem Antlitz der Beiden Länder vieles ändern. Ja, seither war nichts mehr, wie es vorher war, und manches blieb unumkehrbar für alle Zeiten. Amenophis Waen-Re ließ Bilder erschaffen, die vorher noch kein Auge gesehen hatte, Figuren, an deren Aussehen niemand zu denken gewagt hätte. Er selbst schuf Gedichte, Lieder und
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