Im Land des Falkengottes. Echnaton
sonst fast alles weiß, hier derjenige bist, der nicht weiß, was sich darunter verbirgt. Wir wollen es dir deswegen zeigen.»
Pharao fasste das Tuch an einem Ende und zog es langsam an sich. Als das Geheimnis vollständig enthüllt war, sagte er nur: «Gempa-Aton!»
«Gempa-Aton», wiederholte ich leise und bestaunte das Modell einer einzigartigen, nie gesehenen Tempelanlage.
«Gempa-Aton. Der Aton ist gefunden. Welch trefflicher Name, Amenophis!»
Ich umrundete langsam den Tisch und sah mir das kleine Bauwerk von allen Seiten an. Das Auffallendste daran war, dass von der gesamten Tempelanlage nur die Nebenräume überdacht waren.
«Ein großartiger Einfall! Die Strahlen Atons erreichen jeden Winkel seines Tempels. Sie treffen ungehindert auf die Opfergaben, die deine Priester auf die Altäre legen werden.»
«Es ist vor allem ein Tempel, der Freude bereitet, Eje. Nicht mehr geheimnisvolle, dunkle und weihrauchschwangere Räume, verboten und verborgen, in welchen ein nie zu sehender Gott verehrt wird. Ungehindert dringen unsere Gesänge und Gebete zu ihm empor. Nichts mehr bleibt vor ihm verborgen. Nichts mehr steht zwischen ihm und den Menschen. Hier werde ich mit meinem Vater das Sedfest würdig feiern.»
Wieder und wieder ging ich um den Tisch herum und staunte über die Begabung dieses jungen Menschen, denn ich wusste, dass das, was ich hier sah, allein seinem Geist entsprungen war.
«Lasst uns jetzt hinausgehen», sagte Amenophis und verließ als Erster das Zelt. Nur noch wenige Augenblicke, und die Kraft der Sonnenscheibe, die Macht Atons hatte den Nebel aufgelöst. Erst über uns in den Wipfeln der Palmen, dann auf dem flachen Feld, und zuletzt hielten sich nur noch in den Gräben und im Schatten der Sträucher ein paar Nebelschwaden. Doch es brauchte nur wenige Momente, da waren auch sie aufgelöst und verschwanden im Nichts.
Unsere Blicke schweiften über eine weite Ebene, die vor uns leicht anstieg bis hin zum östlichen Gebirge, dessen Gipfel jetzt rot-golden in der Sonne leuchteten, dessen westliche, uns zugewandten Hänge jedoch noch im Dunkel des Schattens lagen. Es war kein Mensch auf den Feldern zu sehen, denn zum einen war es noch zu früh am Morgen, zum anderen war die Zeit der Ernte gerade erst vorbei. Es flogen und hüpften nur viele Krähen umher, die nach übrig gebliebenen Körnern, Mäusen und Fröschen suchten. Im Süden sah man jetzt die Tempelstadt von Ipet-sut und dahinter, zwischen zahllosen Palmen, erhoben sich die Paläste von Waset.
«Nach der Grundsteinlegung und der Vermessung werde ich eine Zufahrt zum Nil errichten lassen, damit Steine und das übrigeBaumaterial angeliefert werden können», verkündete Pharao in die Runde, ohne dass irgendeinem von uns klar war, wen er zum Baumeister ernennen würde.
«Die Lage des Gempa-Aton in unmittelbarer Nähe zu Ipet-sut und Waset hat den Vorteil, dass man sich eine eigene Arbeiterstadt mit Bäckereien, Schlachtereien und allem, was sonst noch dazugehört, sparen kann. Die Pläne sind fertig. Das Modell habt ihr gesehen. Hor und Suti, in weniger als zwei Jahren ist dieser Tempel zu errichten, und Ihr beide werdet dafür verantwortlich sein!»
Jeder von uns wusste, dass es unmöglich war, in weniger als zwei Jahren einen Tempel von vierhundert Ellen Länge und einhundertfünfzig Ellen Breite zu errichten, selbst wenn er kein Dach erhielt. Aber wir wussten auch, dass Amenophis Waen-Re niemals Unmögliches von seinen Untertanen und schon gar nicht von seinen Vertrauten verlangen würde. Welches Geheimnis trug er also in sich, das er uns nicht verraten wollte?
«Worüber denkst du nach, Vater?», fragte mich Nafteta, die jetzt wieder neben mir stand.
«Weniger als zwei Jahre! Das ist gewagt, mein Kind, sehr gewagt.»
«Du kennst doch Amenophis. Glaubst du, er sagt das einfach so? Jeder einfache Schreiber lernt in der Schule, wie viele Steine wie viele Menschen in wie vielen Monaten verarbeiten können. Du bist wahrscheinlich der Einzige von uns, der diese Rechenart heute noch fehlerfrei beherrscht und sie anzuwenden weiß, ohne vorher nachsehen zu müssen», sagte sie leise, damit es ihr Gemahl nicht hören konnte. Ganz offensichtlich wollte sie nicht, dass meine Zweifel an sein Ohr drangen.
«Eben weil ich bereits rechne, zweifle ich, Nafteta», gab ich ihr zur Antwort und dachte gar nicht daran, meine Stimme vor Pharao zu senken.
«Du wirst zwei Divisionen Soldaten einsetzen müssen, um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen.
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