Im Land des Falkengottes. Echnaton
Priester wählte Amenophis aus. Einer von ihnen hieß Panehsi, ein anderer Pentu und der dritte hieß wie der alte Priester Merire. Panehsi und Pentu waren etwas älter als dreißig. Merire zählte noch keine fünfundzwanzig Jahre, aber er war gewiss der Klügste und der Gebildetste von ihnen. Er warvon auffallend kräftiger Gestalt, wie man sie weniger bei einem Priester als bei einem Soldaten vermutete, hatte ein kantiges, fast derbes Gesicht und die schmale, krumme Nase eines Falken. Unter schwarzen Augenbrauen verbargen sich kleine, aber wachsam blitzende dunkle Augen, und wie bei allen Priestern des Landes war auch sein Schädel völlig kahl. Merires Stimme klang angenehm, und wer sie hörte, vertraute diesem Mann.
Amenophis hatte eine gute Wahl getroffen.
Der Bau des Gempa-Aton ging schneller voran, als ich je zu träumen gewagt hätte. Die Baumeister Hor und Suti leisteten mithilfe von zehntausend Arbeitern, die überwiegend Soldaten waren, Unvorstellbares. Die Schiffe, die von den Steinbrüchen im Norden und im Süden kamen, wurden in weniger als fünf Stunden vollkommen entladen. Wie Amenophis gesagt hatte, konnte ein Mann ohne Anzeichen von Erschöpfung einen Talatatblock auf der Schulter vom Flussufer zur Baustelle tragen. Dort wurden sie von den Arbeitern auf beiden Seiten der bereits errichteten Ziegelmauern aufeinander gesetzt und eingeputzt. Danach konnten die Bildhauer sofort damit beginnen, die Reliefs nach den Plänen Pharaos und seiner Baumeister einzumeißeln. Zuletzt wurden sie bemalt.
Andere Schiffe wieder brachten die unter der Aufsicht von Thutmosis angefertigten und zehn Ellen hohen Steinfiguren des Herrschers. Sie lagen auf gewaltigen Holzschlitten und wurden von Sklaven und Stieren zum Tempel geschleppt und an den vorbestimmten Stellen aufgerichtet.
Als die erste der Figuren in die Pfeilerhalle des Tempels gezerrt wurde, stand ich auf einem der Baugerüste, um mir von Hor Einzelheiten der Reliefbilder zeigen zu lassen. So konnte ich jetzt aus acht Ellen Höhe in das Angesicht des jungen Herrschers blicken. Ich war außer mir vor Entsetzen: Es war nicht das leicht übertrieben dargestellte Antlitz Pharaos, in welches ich sah, sondern eine entsetzliche Fratze auf einem grässlich entstellten Körpermit prallen, wulstigen Schenkeln. Sein Gesicht und vor allem das Kinn waren ebenso widernatürlich in die Länge gezogen wie die Nase. Die Wangen waren eingefallen und die Augen zu Sehschlitzen verkommen, und auch die Ohren waren übertrieben groß und lang nach unten gezogen. Über dem Nemes-Kopftuch trug Waen-Re die Doppelkrone, und an seinem Kinn hing ein auffallend langer Zeremonialbart. Dies zusammen ließ das Gesicht nochmals schmaler und länger wirken, ja es machte aus ihm eine Fratze. Thutmosis war zu weit gegangen. Hor sah ebenso entsetzt nach unten wie ich.
«Ihr werdet es nicht mehr ändern können, Gottesvater Eje», sagte Hor leise zu mir. «Alle zweiundvierzig Figuren sind fertig gestellt und werden in den nächsten Tagen Stück für Stück hier eintreffen und aufgerichtet werden.»
Nur wenige Stunden später war die erste Figur aufgestellt und ruhte für immer an ihrem Platz vor einem gewaltigen Pfeiler. Je näher ich ihr kam und in das Gesicht meines jungen Herrschers hinaufsah, umso überraschter war ich: Sein Antlitz hatte jetzt alles Fratzenhafte verloren, es wirkte auf den Betrachter ganz anders als vorher, da ich es genau von vorn, und nicht wie jetzt von unten sah. Gewiss, vieles wirkte noch immer überzogen, aber es war ganz in dem Sinne, wie es sich Amenophis vorgestellt hatte. Es war mehr als die Wahrheit, und zweifelsfrei erkannte jeder, der diese Steinriesen ansah, darin seinen Herrscher Neferchepru-Re Waen-Re Amenophis.
Es war ein würdevolles Antlitz, wie auch die ganze Erscheinung der Figur jetzt würdevoll erschien. Pharao hielt die Arme vor der Brust gekreuzt, und seine Hände umfassten Geißel und Krummstab. Auf dem prallen Bauch, auf der Schulter und auf dem Armreif am rechten Handgelenk sah man deutlich die heiligen Ringe mit dem Thronnamen Pharaos, sodass auch der letzte Zweifel ausgeschlossen war, wer in diesen Figuren abgebildet war.
«Wie hast du das entdeckt?», fragte ich Thutmosis, als er neben mich trat und ebenfalls nach oben sah.
«Es war ein Zufall, der mir zu Hilfe kam», gestand er ganz freimütig.
«Als die erste kleinere Figur, die ich aus Ton anfertigte, aufgerichtet war, legte ich mich davor nieder, um mich ein wenig auszuruhen, und
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