Im Land des Falkengottes. Echnaton
die Mächtigen des Reiches dieses außergewöhnliche Bauwerk aufnehmen würden.
Beide Herrscherfamilien hatten die Nacht im Palast von Waset verbracht, damit die Kühle des Morgens genützt werden konnte und so Nimuria und Teje eine allzu frühe Anfahrt vom Palast der goldenen Sonne erspart blieb. Inmitten Tausender jubelnder Menschen zogen die königlichen Sänften langsam durch die breiten und von Soldaten gesäumten Straßen der Stadt. Hinter den Sänften folgten Ti, Mutnedjemet und ich, die beiden Wesire und der Schatzmeister Acha mit ihren Familien, der Siegelbewahrer der Majestäten, ihre Palastvorsteher und die Ersten Sehenden der Beiden Länder. Die Priester Amuns schlossen sich nicht nur zu meinem Erstaunen erst unmittelbar vor dem großen Eingangstor zum Tempel des Verborgenen an. Mir entging nicht, wie sich Nimuria und sein Sohn über die Köpfe der Wedelträger hinweg von Sänfte zu Sänfte fragend ansahen und wie Amenophis Waen-Re kurz die Schultern hob und so seinem Vater zu erkennen gab, dass er die Geste der Priester Amuns ebenso wenig verstand wie vermutlich auch dieser.
Der Gesichtsausdruck Ramoses, des Ersten Sehenden Amuns, und der seiner vielen Begleiter ließ keinen Zweifel daran, dass sie das, was sie erwartete, schon immer missbilligt hatten und dass ihre Meinung noch immer dieselbe war. Doch ihr offenkundiger Ärger und ihr immer währender Zorn gingen im Jubel der Untertanen und der Gäste unserer Herrscher unter.
Wir erreichten das große Eingangstor des Gempa-Aton, dessen goldene Tore sich erst jetzt öffneten, sodass Nimuria und Teje deren herrliche Außenseiten noch sehen konnten: Auf demlinken Torflügel sah man Waen-Re im königlichen Ornat und Nofretete mit einer Beutelperücke und in einem knöchellangen Kleid, auf dem rechten Torflügel war Re-Harachte abgebildet. Die Bilder des Herrscherpaars waren Einlegearbeiten aus Gold, Edelsteinen und Glasfluss vor einem Hintergrund aus reinem Elektron. Über ihnen prangte die Sonnenscheibe. Auf dem linken Torflügel standen die Namen Waen-Res und Nofretetes, auf dem rechten der vollständige Name Atons: «Re-Harachte, der im Horizont verehrt wird in seinem Namen Schu, welcher der Aton genannt wird und der im Jubiläum ist».
Die Schriftzeichen in den heiligen Ringen bestanden aus Rubinen, ein jeder so groß wie eine Traube. So waren sie schon von weitem zu lesen. Jetzt, da die beiden Torflügel wie von unsichtbarer Hand gänzlich geöffnet wurden, verließen die königlichen Familien die Sänften und traten, geführt von Merire, dem Ersten Sehenden des Aton, und gefolgt von den ersten Würdenträgern Ägyptens, in das Heiligtum ein. Unentwegt wanderten die Köpfe der Betrachter von einer Seite zur anderen, doch das geschah langsam, denn die Fülle der Eindrücke war so reich, dass das, was sie sahen, nur allmählich aufzunehmen war. Ihre ruhigen und gesetzten Bewegungen strahlten eine wahrhaft königliche Würde aus. Tausendstimmige Gesänge setzten jetzt ein, zunächst ganz unscheinbar und kaum vernehmbar, und es war, als würden sie aus unendlicher Entfernung zu uns dringen, so dünn, dass ein Windhauch sie unterbrechen oder wegblasen konnte. Dennoch konnte sie mein feines Gehör klar und rein wahrnehmen, kamen sie doch aus unmittelbarer Nähe.
Die Wirkung des ersten, nach oben offenen Tempelraumes war einzigartig, denn anders als in all den überdachten, wie Truhen verschlossenen und dunklen Tempeln erstrahlten hier die Farben der Wandgemälde und der Figuren in ihrer ganzen hundertfachen Pracht. Vor jeder Figur Pharaos und seiner Großen königlichen Gemahlin standen dreibeinige Kohlebecken, derenSchalen aus Bronze gegossen waren und aus welchen in trägen Schwaden feinster Weihrauch emporstieg.
Die Besucher Atons, es waren gewiss nicht mehr als vierzig, bewegten sich langsam und vor Staunen schweigend durch den ersten Hof der Tempelanlage, schritten dann durch ein prächtiges, steinernes Portal, dessen Wände wieder Amenophis Waen-Re und Nofretete zeigten, und erreichten so den großen Hof, dessen Fläche mit dreihundertfünfundsechzig Altären bestückt war. Jetzt wurde jedem, der dies sah, bewusst, dass der Tempel Atons größer, ja deutlich größer war als die gesamte Tempelanlage Amuns. Denn über die Mauern des Gempa-Aton hinweg konnte man sehen, wo der Tempel Amuns nach Osten zu endete, wohingegen sich Atons Heiligtum im Osten um weitere fünfzig Ellen ausdehnte. Vor jeder der Säulen, die den Umgang um die Hoffläche
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