Im Land des Falkengottes. Echnaton
betrachtete sie mir genau. Ich stellte fest, dass sie bei weitem nicht die Wirkung zeigte wie kurz zuvor, als ich ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. All das, worauf Pharao so großen Wert gelegt hatte, war kaum mehr zu sehen. Ich war verzweifelt, und aus Verzweiflung und Wut begann ich, Wein zu trinken. Im Rausch und wie im Wahn verformte ich den noch weichen Ton mehr und mehr, bis ich schließlich niedersank und in tiefen Schlaf fiel. Als ich wieder erwacht war, traute ich meinen Augen nicht: Ich hatte im Rausch und im Wahn das erreicht, was mir vorher unter Anspannung all meiner Sinne nicht gelungen war.»
Thutmosis lächelte mich an, sah dann etwas verlegen zu Boden und sagte leise: «Ich bitte dich, diese kleine Wahrheit für dich zu behalten, Eje. Waen-Re könnte sonst von mir verlangen, dass ich nur noch in betrunkenem Zustand arbeite.»
Ich versprach es ihm.
Amenophis Waen-Re und seinen Baumeistern gelang, woran noch vor Jahresfrist niemand geglaubt hatte: Nur ein Jahr und drei Monate, nachdem Pharao den Grundstein gelegt hatte, war das Gempa-Aton fertig gestellt, der erste große Tempel für Re-Harachte, der im Horizont jubelt, in seiner Eigenschaft als das Sonnenlicht, das der Aton ist, wie Amenophis seinen falkenköpfigen Gott nannte. Alles war nun für das große Sedfest, das dreißigjährige Thronjubiläum Nimurias, vorbereitet.
SECHS
Du erschaffst Millionen Gestalten aus dir allein,
Städte, Dörfer und Äcker, Wege und Flüsse.
Alle Augen sehen sich dir gegenüber,
wenn du, Aton, als Sonne des Tages
über dem Land bist.
Ü ber das Heb-Sed, das Fest zum dreißigjährigen Thronjubiläum Pharaos, war nicht mehr viel bekannt, denn seit dem mittleren Reich, der Zeit der großen Vorfahren, hatten Generationen von Herrschern keine Sedfeste mehr gefeiert. Wie lange war es schon her, dass einer unserer Herrscher überhaupt auf dreißig Regierungsjahre zurückblicken konnte? Der letzte Pharao, der länger als dreißig Jahre regiert hatte, war Thutmosis Men-chepru-Re, der Vater von Amenophis Aa-chepru-Re, der wiederum der Großvater Nimurias war. Doch Osiris Thutmosis hatte auf die Feiern des Heb-Sed verzichtet.
Der hochbetagte Amenophis, Sohn des Hapu, erhielt den Auftrag, die Tempelarchive nach alten Festordnungen durchsuchen zu lassen, damit die Feiern Nimurias nach den alten Riten und Bräuchen abgehalten werden konnten. Die Schreiber des Königs besuchten die Kultstätten Unterägyptens, um über Inschriften und Abbildungen vor allem aus den Pyramidenstädten und aus Saqqara zu berichten, wo es Zeugnisse aus den Zeiten der Könige Djoser, Niuserre und Snofru gab. Gleichzeitig befahlNimuria an vielen dieser Orte Ausbesserungsarbeiten und ließ sie so in neuen Glanz hüllen.
Amenophis, der Sohn des Hapu, wurde zum Leiter des Heb-Sed bestellt und erhielt dafür den Titel «Erbfürst in den Ämtern des Sedfestes». Chaemhat versah am Jubiläumstag des Sedfestes Seiner Majestät das Amt des Priesters des Anubis, denn beim Sedfest würde Amenophis als sterblicher König vergehen, und ihm würde von Hathor neues, ewiges Leben eingehaucht werden. Nimuria wurde so als Gott wieder geboren. Er wurde mit ewiger Jugend beschenkt, und er war jetzt Aton, der leuchtenden Sonnenscheibe, die über allen Ländern scheint, gleich. Mein früherer Schreiber Cheruef, der jetzt schon viele Jahre Palastvorsteher meiner Schwester Teje war, wurde mit der Ausrichtung der Feiern im Palast der leuchtenden Sonne beauftragt.
Es war wie bei allen großen Festen, die bei uns begangen wurden: Die Tempel und Paläste, jedes Wohnhaus wurde neu gestrichen, Straßen wurden ausgebessert, Festkleider genäht und alle Fahnen aufgezogen. Tausende Rinder, Kälber und Schafe wurden in die Stadt getrieben und geschlachtet, Wein und Bier herbeigeschafft, Brote und Kuchen gebacken, und die Musikanten übten ihre Lieder. Aus den Fremdländern und aus ganz Ägypten kam nach Waset, was Rang und Namen hatte, und die Quartierpreise stiegen ins Unermessliche, je mehr Gäste eintrafen. Noch bevor das eigentliche Fest begann, wurde schon ausgelassen gefeiert, geliebt, gestohlen und betrogen. Gastwirte, Dirnen, Diebe und Polizisten hatten gleichermaßen alle Hände voll zu tun.
Der junge Pharao selbst überwachte die letzten Arbeiten, die am Gempa-Aton auszuführen waren: Das Ausmalen der vielen Reliefbilder an den Innen- und Außenwänden der Tempelmauern, das Aufrichten der Fahnenmasten vor den Eingangstoren und die
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