Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Wedelträgern, dicht neben der Sänfte.
«Sieh keinem von ihnen ins Gesicht», flüsterte ich dem jungen König zu. «Geradeaus. Blicke immer nur geradeaus, so, wie unser Weg uns führt!»
Tutanchaton sah nur wenig von der Blütenpracht, die unseren Weg säumte, nicht die dicht an dicht gereihten Widdersphingen, die bis vor wenigen Monaten gewiss noch vom Sand des Vergessens, den Echnatons Bannfluch über sie geweht hatte, bedeckt waren. Er erahnte noch nicht die gewaltigen Ausmaße der Tempelanlage des Verborgenen, wie Amun auch genannt wurde. Er ahnte vor allem noch nicht, wie dunkel es in ihrem Innern war, wie unheimlich und Angst einflößend. Kein Lichtstrahl drang hinein, um die Farbenpracht ihrer Wände erstrahlen zu lassen, wie sie wenige Ellen von hier im Gempa-Aton erstrahlten, weil kein Dach sie vor den Strahlen Atons versteckte.
Meriptah, der Erste Sehende des Amun, verneigte sich wenig ehrfurchtsvoll vor dem künftigen Pharao. Dafür hatte er es umso eiliger, mich zuerst mit zusammengekniffenen Lippen anzusehen, um dann genüsslich zu zischen: «Euch ist der Zutritt zum Allerheiligsten verwehrt, Gottesvater Eje!»
Tutanchaton sah verängstigt nach oben in mein Gesicht, und seine Augen flehten mich an, ihn nicht allein zu lassen.
«Wenn Ihr mich und General Haremhab nicht mitkommen lasst, dann wird Seine Majestät auf der Stelle umkehren und nach Achet-Aton zurückfahren. Es steht nirgendwo geschrieben, dass die Herrscher Ägyptens nur in Waset gekrönt werden dürfen», sagte ich völlig ruhig und ohne mich dabei zu ereifern. Ich wusste, dass sich der Priester sofort Haremhab zuwenden würde, um zu sehen, ob dies auch dessen Meinung war. Jetzt hing alles am General, und für einige Augenblicke fürchtete ich, dass er mir in den Rücken fallen würde.
«Wir sind beide die Regenten Seiner Majestät», begann nunHaremhab. «Jeder Befehl, den einer von uns erteilt, ist zwischen uns abgesprochen.»
Mehr brauchte er nicht zu sagen, und Meriptah gab demütig buckelnd klein bei. Gerne hätte ich jetzt General Haremhab einen dankbaren Blick zugeworfen, denn über mein Verlangen, Tutanchaton in das Allerheiligste begleiten zu dürfen, hatten wir vorher mit keinem Wort gesprochen. Aber es waren zu viele Augen, die uns genau beobachteten, und die kleine Lüge des Generals durfte unter keinen Umständen offenbar werden.
Anchesen-paaton und die anderen Würdenträger durften uns nur bis in die erste Vorhalle begleiten, dann öffneten sich die gewaltigen Tore zum Inneren des Tempels. Wir durchschritten zwei dunkle Säulenhallen, in denen Steinfiguren Amuns nur schemenhaft zu erkennen waren. Endlich erreichten wir das Allerheiligste, den geheimsten aller geheimen Räume Ägyptens. In seinen Ecken standen Räucherpfannen, und der Weihrauch, der in ihnen verbrannte, konnte in der stickigen Luft dieses Raumes nur schwer nach oben steigen.
Der Erste Sehende öffnete die Flügeltüren des Schreins, sodass die goldene Figur Amuns im Schein der Öllampen und Fackeln unruhig glänzte. Noch war Tutanchaton nicht in sein Amt eingesetzt, weswegen es dem Ersten Sehenden vorbehalten war, die Figur des Verborgenen der rituellen Reinigung zu unterziehen. Tutanchatons Aufgabe bestand lediglich darin, zu den unablässigen Gesängen der Priester der ihm noch so fremden Gottheit ein Weihrauchopfer darzubringen.
Er war sichtlich erleichtert und zugleich stolz, als wir nach mehr als einer Stunde den Tempel wieder verließen.
Die vier Tage bis zum Krönungsfest verbrachten wir nicht im Palast der leuchtenden Sonne jenseits des Flusses, sondern auf Anraten Haremhabs im alten Stadtpalast von Waset, um die Priester Amuns zufrieden zu stellen und um nicht einen neuen, unnötigen Streit zu entfachen.
Ich selbst hatte mit den Vorbereitungen nichts zu schaffen.Das hatte allein Aper-el übernommen, und wir alle wussten, dass es dafür keinen geeigneteren Mann geben konnte. So blieb mir genug Zeit, um Nassib und Ancha die Stadt mit all ihren Tempeln und Palästen zu zeigen. Vor allem zeigte ich ihm meinen Palast und dessen Garten, den ich so geliebt hatte. Den Fluss überquerten wir in diesen Tagen nicht. Das Westufer mit dem Palast Nimurias und den Tempeln der Millionen Jahre sowie der Besuch des Totentales sollten der Zeit nach der Krönung vorbehalten bleiben.
Ich gab mir alle Mühe, die Gedanken an den Tod Nofretetes zu verdrängen, um mir selbst nicht die Freude an den bevorstehenden Festtagen zu nehmen. Stattdessen standen
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