Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
mit hochgezogenen Brauen auf sein Anliegen.
«Sagst du in Waset vor den anderen bitte nicht mehr Nassib zu mir?»
Ich muss ihn völlig verstört angesehen haben, denn ich sah ihm an, dass ihn seine Bitte selbst verlegen machte.
«Ich meine ja nur», setzte er nach und zuckte hilflos mit den Schultern.
«Es ist schon gut. Du hast natürlich Recht! Verzeih mir!»Wenn ich in den Süden zurückkehrte, war ich immer wie beim ersten Mal aufgeregt. Ich wusste, welchen Baum ich nach der nächsten Flussbiegung sehen würde oder welches Feld, ich wusste, wie die Felswände, die weit dahinter im Osten emporragten, aussahen. Umso enttäuschter war ich, wenn sich irgendetwas seit meiner letzten Fahrt verändert hatte: wenn hier von einer uralten Akazie nur noch ein Stumpf übrig geblieben war oder dort, wo einst Feigenbäume standen, jetzt schlammige Lehmgruben das vertraute Bild störten. Aber trotz aller Veränderungen, die die Zeitläufte unweigerlich mit sich bringen und mit welchen man sich in zunehmendem Alter mehr und mehr abfinden muss, erahnte ich wieder und wieder mein Waset, ja ich hörte es, und ich roch seine Nähe.
«Gleich sind wir da», sagte ich zu Tutanchaton, denn trotz der vielen kleinen Änderungen im sonst so vertrauten Landschaftsbild gab es für mich keinen Zweifel mehr: Augenblicke noch, und vor uns ragten die Tortürme der hunderttorigen Stadt empor, die goldenen Spitzen ihrer Obelisken, die Fahnenmasten ihrer Tempel und die Zinnen ihrer Paläste.
Dann geschah es.
Tutanchaton hielt es nicht mehr auf seinem Thron. Er erhob sich, legte Geißel und Krummstab achtlos hinter sich nieder und trat neben mich an die Reling der Barke.
«Waset», hörte ich ihn staunend neben mir flüstern.
«Ja, Waset», sagte ich mehr zu mir als zu ihm.
Dann sah ich sie auch schon, die vielen Menschen, die gewiss seit Stunden auf ihren jungen Herrscher gewartet hatten, auf den Knaben, den sie, ohne dass sie ihn vorher je gesehen hatten, liebevoll die wieder erstandene Hoffnung Ägyptens nannten.
«Wenn ich dich schon nicht mehr Nassib nennen darf, musst du dich wenigstens wieder setzen», sagte ich zu ihm, denn so jung er auch war, sie alle erwarteten Seine Majestät, den Guten Gott, den Herrscher von Ober- und Unterägypten, und nicht einen aufgeregten Knaben.
«Bitte denke daran, was wir besprochen haben», fuhr ich fort,während er mit ernster Miene meiner Bitte nachkam. «Es hängt sehr viel davon ab, wie sie dich in der nächsten Stunde erleben.»
Er wusste es ebenso wie ich, und sein Kindergesicht veränderte sich schlagartig zu dem Antlitz eines um alles wissenden Sphinx.
Wie von Geisterhand geführt, tauchten die Ruder unseres Schiffs zum Takt der Kriegstrommeln in das Wasser, und in voller Fahrt lief die Barke in das von Palmen gesäumte Hafenbecken ein. Ich hielt mich an der Reling fest, als ob ich nicht gewusst hätte, dass die Kriegsschiffe Seiner Majestät ohne Schaden an der Hafenmauer anlegen würden, und als gelte es, jeden Augenblick eine fürchterliche Havarie zu überstehen. Es genügte ein knapper Befehl des Kommandanten, und schon fiel das Segel, und die Ruder stachen tief in das Wasser ein, um die Fahrt des mächtigen Schiffes fast bis zum Stillstand abzubremsen. Taue flogen von der Hafenmauer auf das Schiff und vom Schiff auf die Hafenmauer, und in kürzester Zeit war die königliche Barke fest vertäut.
Jetzt erkannte ich sie alle: meine Tochter Mutnedjemet und meinen Schwiegersohn Rechmire, Acha und seine Familie, Aper-el und Maja, Mahu und all die anderen Mächtigen der Beiden Länder, die in Waset die Ankunft des neuen Horus erwartet hatten. Doch ich sah auch jene wieder, von denen ich bis vor kurzem gehofft hatte, sie in meinem Leben nie mehr sehen zu müssen: die kahl geschorenen Diener Amuns! Sie waren aber eine nicht zu leugnende Wirklichkeit, ob es mir recht war oder nicht. Ich wusste, dass ich mich mit ihnen ein für alle Mal abzufinden hatte. Sosehr ich mich aber auch mühte, ich entdeckte unter ihnen keines der Gesichter, die mich am Todestag Echnatons im Hafen Achet-Atons flüchtig angesehen hatten.
Jetzt hatte auch das Schiff Anchesen-paatons und Haremhabs angelegt. Nahezu zeitgleich gingen die Königskinder an Land und bestiegen die Prunksänfte. Die zwölf Nubier, jeder Einzelne von ihnen so kräftig wie ein Wildstier, hoben die schwere,goldbeschlagene Sänfte mit einer Leichtigkeit auf ihre Schultern, als habe sie kaum ein Gewicht. Haremhab und ich gingen, flankiert von den
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