Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Leibdiener hin.
«Gib mir einen zweiten Pfeil!», befahl er leise. Er nahm ihnund legte ihn quer in den Mund, wobei die Pfeilspitze nach links zeigte. Dann hob er den Bogen an und spannte mit dem ersten Pfeil die Sehne.
«Jetzt!», zischte es zwischen seinen Zähnen und dem Pfeil kaum verständlich hervor. Amenemhet ließ den Arm sinken, und schon rollten die Wagenräder von rechts und von links talwärts. Noch während der erste Pfeil durch die Luft sirrte, ergriff Nassib den zweiten, spannte die Sehne erneut, und kurz bevor das Wagenrad mit einem weiten Satz von der Bahn sprang, steckte der Pfeil mittendrin.
«Das macht schon mehr Spaß», sagte er und ließ dabei seine großen Augen voll Stolz leuchten, während Amenemhet und ich anerkennend klatschten.
Ich konnte es ihm nicht ersparen, sich auch mit anderen, für ihn unangenehmeren Dingen zu beschäftigen. Das unstete Leben, das er und ich seit unserer Flucht vor Nofretete geführt hatten, machte es ihm schwer, sich wieder an einen geregelten Unterricht zu gewöhnen.
«Ana šarriri beli-ia u ilu šamši-ia
um-ma labaja ardu ka
u ipru ša kapašika
ana šepe šarriri beli-ia
u ilu šamši-ia ket-šu ket-ta-a-an
amkut išteme awatemeš
ša šarruru matakišu – heißt was?», fragte ich ihn und hielt ihm die Tontafel, von welcher ich vorgelesen hatte, entgegen und griff nach meinem Becher. Er wölbte die Augenbrauen und blickte etwas angewidert nach oben. Dann senkte er mit vernehmbarem Stöhnen seine Blicke auf die Tafel und übersetzte mehr bruchstückhaft als flüssig:
«Zu dem König, meinem Herrn und meiner Sonne,
sprach also Labaja, dein Diener
und der Staub, auf den du trittst:
Zu den Füßen des Königs, meines Herrn
Und meiner Sonne fiel ich 7 mal, 7 mal
nieder. Ich habe gehört die Worte,
die ich dem König geschrieben habe.»
«Die der König mir geschrieben hat», verbesserte ich ihn. «Was du übersetzt hast, ergibt keinen Sinn.»
«Die der König mir geschrieben hat», wiederholte er.
Ich sah ihm an, dass er genug hatte. Zwei Stunden saßen wir nun schon im Palastgarten, und Tutanchamun hatte schon drei Briefe fremder Fürsten aus dem Akkadischen übersetzt.
«Kannst du mir verraten, wozu ich das brauche?», fragte er mich, und aus seiner Stimme war eine gehörige Menge Aufsässigkeit herauszuhören.
«Alle Welt, die etwas auf sich hält, spricht Akkadisch. Selbst den eingebildeten Trojanern bleibt nichts anderes übrig, wenn sie mit uns Handel treiben wollen.»
«Aber warum lernen sie nicht Ägyptisch? Ist Ägypten das mächtigste Land der Erde oder Babylon?»
«Das ist zweifellos Ägypten», beruhigte ich ihn.
«Die Tatsache, dass auch wir uns mit anderen Völkern auf Akkadisch verständigen, hat einen einfachen Grund: Deine Vorfahren wollten nicht, dass unsere Schrift, die wir als heilige Zeichen begreifen, außer Landes kam, um dort vielleicht missbraucht zu werden. Sie waren eher bereit, die Briefe babylonischer Herrscher in deren eigener Sprache und Schrift zu beantworten. Dem schlossen sich auch andere Herrscher an, sodass seit unvordenklichen Zeiten allein die Sprache der Babylonier diejenige Sprache ist, die alle Völker miteinander verbindet.»
Meinem jungen König reichte diese Antwort offenbar nicht, denn gleich argumentierte er weiter: «Mich umgeben Tag für Tag Hunderte Diener. Jeder ist für irgendeine Kleinigkeit da. Warum nicht auch ein Übersetzer?»
«Ja, dich umgeben auch Übersetzer. Mehr als genug. Aber dennoch ist es außerordentlich wichtig, dass auch Pharao diese Sprache beherrscht, um nicht hintergangen zu werden. Weißtdu, wem du trauen kannst und wem nicht?» Ich hatte ihn noch nicht überzeugt, und ich war mir sicher, dass mir das auch nicht so schnell gelingen würde. Ich unternahm noch einen Versuch: «Dein Großvater hatte mich einst als jungen Mann nach Babylon geschickt. Ich sollte eine Verbindung zu König Kurigalzu herstellen, weil Nimuria dessen Tochter Giluchepa zur Frau nehmen wollte. Außerdem wollten wir den Handel mit dem Zweistromland beleben. Es hatte keine Notwendigkeit gegeben, dass ich ihre Sprache sprach, denn ein Übersetzer stand auch mir zur Verfügung. Aber ich lernte dort eine wunderbare Frau kennen, die meine große Liebe wurde. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich meinen Lehrern für mein Akkadisch dankbar war. Erst war es für Perisade – so hieß das angebetete Mädchen – nichts Besonderes, dass wir uns in ihrer Sprache unterhielten. Aber als
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