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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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die abfälligen Bemerkungen Haremhabs hatten das Ihrige dazu getan, den jungen König noch mehr zu verunsichern und zu verwirren, zumal er auch noch mit seinem neuen Namen zurechtkommen musste.
    «Warum redet Haremhab so schlecht über meinen Vater?», fragte er mich am Abend nach unserer Ankunft in Men-nefer. «Und warum hast du nichts dagegen gesagt?»
    «Es ist leider wirklich so, Nassib, dass Ägypten eine schwierige Zeit durchlebt. Dein Vater hat den Frieden über alles geliebt. Er verabscheute Krieg, Gewalt und Verrat. Für ihn zählte nur die Liebe: die Liebe zu seinem Gott, die Liebe zu seiner Familie, seine Liebe zu den Menschen und die Liebe der Menschen untereinander. Dabei hat er nur eines übersehen: dass die Welt um ihn herum nicht dazu geschaffen war, seinen hohen Ansprüchen zu genügen. Man kann nur den Krieg vermeiden, den man selbst nicht beginnt. Die Kriege, die andere führen, lassen sich nicht verbieten. Man mag Gewalt verbieten. Doch wer verhindert, dass hinter verschlossenen Türen Frauen und Kinder geschlagen werden? Liebe lässt sich nicht befehlen, Nassib.Befohlene Liebe endet nur im Verrat. Dein Vater wollte eine neue, eine bessere Welt, eben seine Welt erzwingen. Doch er hat die Macht seiner Feinde unterschätzt. Viel zu lange hat er jeden Widerstand gegen sein Werk geleugnet, oder er wollte ihn einfach nicht wahrhaben. Aber umso mächtiger fallen heute seine Feinde über das her, was dein Vater hinterlassen hat. Und niemand kann sie aufhalten.»
    «Auch du nicht?», fragte der Junge kleinlaut, und doch lag in seiner Stimme so viel Hoffnung.
    «Nein, auch ich nicht. Kein Herrscher kann sich auf Dauer gegen sein Volk stellen. Irgendwann zerreist das Band zwischen dem Volk und seinem König, und es kommt zum offenen Aufruhr, zum Zerfall jeder Ordnung. Dann erschlägt der Bruder den Bruder, der Vater den Sohn, und die Tochter vergiftet die Mutter. Dann hat Isfet die Herrschaft über die Welt, bis alles zugrunde gegangen ist. Das wäre das Ende Ägyptens, das Ende der Welt. Nein, es gab kein Halten mehr. Eher hätten mich die Feinde Echnatons und seines Glaubens erschlagen.»
    Nassib richtete sich in seinem Bett auf und stützte sich auf den Ellbogen ab. Große, aufgeregte Augen sahen mich an. Dann sagte er: «Das soll einer wagen! Den lass ich in Stücke hauen, der dir etwas antut!»
    Ich nahm den Jungen in meine Arme und drückte ihn fest an mich. Es wurde Zeit, dass wir von anderen, erfreulicheren Dingen sprachen.
    «Morgen, Majestät», begann ich und wankte bei jedem Wort mit ihm hin und her. «Morgen werdet Ihr mit Paramessu einen Streitwagen besteigen, und dann werdet Ihr mit Eurem Räuber, diesem armen, vernachlässigten Hund, erst einmal hinausfahren und sehen, ob es in der östlichen Steppe nicht ein paar Strauße gibt, die man verfolgen und dann, piek» – und dabei drückte ich meinen Zeigefinger zwischen seine Rippen   –, «mit Pfeil und Bogen niederstrecken kann.»
    Sogleich löste er sich von mir und fragte: «Kommst du mit?»
    Ich lachte und sagte: «Ich stand deinem Großvater schonmehr im Weg, als dass ich ihm bei der Jagd nützlich gewesen wäre. Ich bin kein guter Jagdgefährte, Nassib. Ich bleibe hier zurück und kümmere mich um andere Angelegenheiten. Es gibt viele Dinge, die besser ich angehe, bevor es andere tun.»
    Er legte sich zurück auf sein Kissen, und ich sah ihm an, dass er nicht daran dachte, jetzt zu schlafen. Er legte den Zeigefinger an die Unterlippe, zog die Brauen nach oben, bis es aus ihm herausplatzte: «Weißt du, wo man die Tränen des Re findet?»
    Die Tränen des Re! Sie ließen ihm keine Ruhe.
    «Niemand weiß es, Nassib. Niemand. Aber wir werden es vielleicht herausfinden. Hier in der Nähe gibt es ein uraltes Heiligtum, das alles Wissen der Menschen in sich birgt. Wenn es einen Ort gibt, an dem man das Geheimnis kennt, dann ist es der Tempel des Re in On.»
     
    Unsere Zeit in Men-nefer begann so ruhig, so friedlich. Wo es nur ging, versuchten Maja und ich, den jungen Herrscher von seiner Erinnerung an Achet-Aton abzulenken. Die ersten Wochen verbrachte er fast ausschließlich mit Jagen und damit, den uralten Palast mit seinen zahllosen Nebengebäuden, seinen Stallungen, Kasernen und den königlichen Werkstätten kennen zu lernen. Aber nach und nach ließ ich das leichte, spielerische Leben übergehen in einen strengen und geregelten Tagesablauf. Fehlschüsse auf der Jagd oder eine Ungeschicklichkeit mit dem Streitwagen boten mir einen

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