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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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ich sogar die Geschichte des Gilgamesch auswendig vorsagen konnte: Šanitu minu nukurtum, ša šarri u-ul ha-ja-a, anuma la-a tirubuna   …»
    «Es ist schon gut, Eje», unterbrach mich Nassib etwas barsch, doch ich war ihm dankbar für diese kleine Unhöflichkeit, denn viel mehr als die ersten drei Zeilen konnte ich auch nicht mehr auswendig.
    «Du musst mir jetzt nicht den ganzen Gilgamesch in fehlerfreiem Akkadisch vorsagen», fügte er etwas trotzig hinzu, um dann still und nachdenklich in den Garten hinauszuschauen.
    Ich beugte mich ein wenig zu ihm hinüber und flüsterte ihm zu: «Ich habe Perisade nicht nur mit dem Gilgamesch beeindruckt. Wenn wir allein waren, und das waren wir vor unserer Heirat nur für wenige Augenblicke, waren wir sehr dankbar, dass wir keinen Übersetzer brauchten, wenn du verstehst, was ich meine!»
    Er lächelte verlegen und nickte mir zu.
    Ich hatte allerdings Nassib an jenem Tag geflissentlich verschwiegen, dass das Ägyptisch, das Perisade sprach, um ein Vielfaches besser war als mein Akkadisch. Aber er hatte mich ja nicht danach gefragt, ob Perisade überhaupt Ägyptisch sprach.
    Es half ihm gleichwohl kein Einwand. Wie so viele Ägypter vor ihm und vermutlich noch unzählige Generationen nach ihm lernte Tutanchamun Akkadisch in Wort und Schrift, wenngleich seine Sprachkünste nie an sein Können mit Pfeil und Bogen oder auf dem Streitwagen heranreichten. Aber es genügte, um sich von keinem Übersetzer und von keinem Boten eines fremdländischen Fürsten etwas vormachen lassen zu müssen.
     
    Die ersten sechs Jahre seiner Herrschaft vergingen so schnell, dass ich mir der siebenundsechzig Jahre, die ich jetzt zählte, gar nicht bewusst war. Ich fühlte mich so voll Tatendrang wie in den ersten Jahren der Herrschaft Nimurias. Meiner langen Erfahrung und der unübertroffenen Gründlichkeit Majas war es wohl zu verdanken, dass nicht nur das Schatzhaus Pharaos wieder gut bestückt war, sondern dass vor allem die Getreidespeicher überall in den Beiden Ländern bis zum Rand mit Emmer gefüllt waren. In den Steinbrüchen wurde gearbeitet, ohne dass auch nur ein Stein in unberechtigte Hände gekommen wäre. Schiff um Schiff brachte Hunderte Quader von Abu nach Waset und von Tura nach Men-nefer, damit sie dort auf Befehl Tutanchamuns zur Vergrößerung und Verschönerung der Tempel verwendet wurden. Für Ptah in Men-nefer errichtete er einen neuen Torturm und für Amun, den Verborgenen von Waset, baute er einen Säulengang, wie er schöner vorher nirgends zu sehen war.
    Überall in den Beiden Ländern gingen die Menschen ihrer Arbeit nach, und sie verehrten die Götter. Einzig das Gempa-Aton in Waset erinnerte noch an die Zeit Echnatons und die Zeit der Wirren nach ihm. Ansonsten war es, als hätte es die Herrschaft Echnatons nicht gegeben.
    Beinahe. Denn was uns im Inneren so gut gelang, nämlich die alten Zustände wiederherzustellen, mochte im Verhältnis zu den Hethitern gar nicht gelingen. Jahr um Jahr focht Haremhab im Nordosten gegen dieses hartnäckige Volk seine Kämpfe,ohne zu einem greifbaren Ergebnis zu gelangen. Er musste zwar keine vernichtenden Niederlagen melden und auch keine nennenswerten Landverluste, aber seine Siege fielen ebenso bescheiden aus. Je länger dieser unheilvolle Zustand anhielt, umso weniger scheute der General davor zurück, die Schuld für diese endlose Erfolglosigkeit Echnaton zuzuschieben. Er sprach von Flüchen und von Zauberei, von der Missgunst der Maat, die wir dem «Ketzer von Achet-Aton», wie er Echnaton wörtlich nannte, zu verdanken hätten. Manchmal glaubte ich, Haremhab hätte über all den militärisch so glanzlosen Jahren seinen Verstand verloren.
    Tutanchamun war zu einem kräftigen und strahlenden Jüngling herangereift. Er war nicht übermäßig groß von Gestalt, aber seine langen Beine und sein schlanker Körperbau ließen ihn größer wirken, als er war. Er besaß zweifelsohne nicht die Kraft seines Großvaters, aber an Wendigkeit und an Geschick im Umgang mit dem Wurfholz, mit Pfeil und Bogen und mit dem Streitwagen übertraf er ihn bei weitem. Die Haltung seines Bogens war vollkommen. Tutanchamun vermochte in so kurzen Abständen Pfeile abzuschießen wie kein Zweiter. Ich selbst habe einmal mit eigenen Augen gesehen, wie er aus einem aufsteigenden Schwarm von zehn oder zwölf Enten vier Vögel herausschoss, ehe es die Tiere geschafft hatten, seinem Pfeilhagel zu entkommen. Er traf die Ziele, gleich, aus welcher Richtung und in

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