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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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ihn zuletzt in feinste Leinenbinden zu wickeln. Siebzig Tage dauerte die Zeit der Trauer. Siebzig Tage, während deren man enthaltsam lebte und keine Feste gefeiert wurden. Siebzig Tage, während deren sich die Männer zum Zeichen der Trauer nicht rasierten.

ZWEI
    Ich bin selbst ein Gott,
    der, was geschieht, bestimmt.
    Nicht geht ein Ausspruch meines Mundes fehl.
     
    W ie gern hätte ich mich in diesen Tagen in meinen Palast zurückgezogen, um in der Stille meines Arbeitszimmers oder in einem ruhigen Winkel meines Gartens über all das nachzudenken, was hinter mir lag und was mir die Zukunft vielleicht noch bringen würde.
    Ein mit böser Absicht geworfener Ball war es, der mich vor fünfundvierzig Jahren im Palastgarten von Men-nefer vornüber in einen Zierteich fallen ließ. Für sich genommen war dieser Vorfall völlig harmlos und unbedeutend. Er hatte aber das Gerechtigkeitsgefühl Amenis, des damals gerade dreizehnjährigen Thronfolgers, derart berührt, dass er sich meiner annahm und mit mir Freundschaft schloss. Die anderen wollten mich ausgrenzen, und durch den Streich sollte ich lächerlich gemacht werden. Aber sie hatten das Gegenteil bewirkt. Welchen Lauf hätte mein Leben wohl ohne diese Albernheit, diesen unbedeutenden Kinderscherz, genommen? Vielleicht wäre ich wie mein Vater irgendwann Vorsteher der Pferdeställe Seiner Majestät oder gar Vorsteher der Streitwagentruppe geworden. Vielleicht Vorsteher der Domänen Seiner Majestät oder ein Sandalenträger Pharaos.
    So aber verbrachte ich seit diesem Tag mein Leben an derSeite zweier Pharaonen. Ich stand nicht im Schatten des großen Nimuria. Ich war sein Schatten. Von einer Million Menschen, die in Ägypten leben mochten, gab es neben der königlichen Familie eine Hand voll Untertanen, die ihrem Herrscher in die Augen sehen durften, wenn sie ihm gegenübertraten. Ich aber aß und trank mit ihm, umarmte ihn in Freud und Leid, und zuletzt, als er sein Leben beendete, lag er hilflos wie ein Kind in meinen Armen. Ich erinnerte mich nicht, je von einem Menschen gehört oder gelesen zu haben, der seinem Herrscher so nahe stehen durfte wie ich. Ja, ich war sein Schatten, gleich, ob ich im Audienzsaal hinter ihm stand oder ob ich weit weg von ihm bei seinem Sohn in Achet-Aton weilte. Jeder in der Sonnenstadt wusste, dass ich hier den Willen Nimurias verkörperte. Auch Echnaton wusste das. Und nach dem Tod meines Freundes Amenophis wurde ich der Schatten seines Sohnes; nicht mehr so deutlich vielleicht, mit unschärferen Umrissen, aber auch er wollte nicht von mir lassen. Selbst dann nicht, als ich im Begriffe war, einen entsetzlichen Frevel zu begehen, als ich im Gempa-Aton – wenn auch nur für einen kurzen Augenblick – seinen Platz einnehmen wollte. Sein Darüber-hinweg-Sehen, sein großzügiges Verzeihen, kettete mich nur noch enger an ihn und ließ mich den Schwur erneuern, den ich schon seinem Vater gegeben hatte: mich bis zum letzten Atemzug schützend vor Pharaos Kinder zu stellen.
     
    Eingerollt wie ein Igel, lag Tutanchaton neben mir auf seinem Bett und schlief so tief, wie nur Kinder schlafen können. Der spärliche Schein einer einzelnen Öllampe konnte seinen Schlaf nicht stören, doch er reichte aus, um mich wach zu halten. Er reichte aus, damit ich die langen, schwarzen Haare, die nicht mehr fein säuberlich zur Prinzenlocke geflochten waren, sondern wirr von seiner rechten Kopfhälfte herabhingen, sehen konnte. Ich erkannte seine buschigen Augenbrauen, die wulstigen Lippen und die großen Ohren mit den durchstochenen Ohrläppchen.
    «Ich alter Mann soll dein Schatten und Begleiter sein?», fragte ich leise vor mich hin. Doch ich musste es sein, und ich wollte es sein.
    «Ich werde dich alles lehren, was mich das Leben gelehrt hat. Ich werde dir alles zeigen, was ich gesehen habe. Wenn du einst großjährig sein wirst, dann herrsche über Ägypten, wie dein Großvater geherrscht hat! Sei ein Diener der Maat, und sei weise, wie es dein Vater gewesen ist! Elf Jahre noch will ich Tag für Tag für dich da sein, wie ich es gelobt habe. Ich werde an deiner Seite die Hethiter schlagen und in Asien die Vorherrschaft Ägyptens wiederherstellen, selbst wenn ich dir auf Krücken folgen muss! Ich zeige dir Nubien und seine Schätze. Ich werde dir Prinzessinnen aus Mitanni und aus Babylon bringen. Ich werde dich in das Heiligtum von On führen und dir dort Schriften und Dokumente aus allen Zeitaltern Ägyptens seit den Tagen des großen Menes zeigen,

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