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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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schnell und verlegen vor sich auf den Boden. Sie wollten nicht, dass ich ihre Angst vor der Zukunft erahnte oder ihren Neid darüber, dass letztendlich ich es sein würde, der bis zur Großjährigkeit Tutanchatons die Geschicke Ägyptens lenken würde. Nur bei wenigen glaubte ich das Bedauern über die schwere Bürde, die auf mir lag, zu erkennen.
    Als der Gesang verstummt war, stieg ich mit Tutanchaton und Meritaton die wenigen Stufen hinab, und wir nahmen am Fuße der Bahre Aufstellung.
    Der Gesichtsausdruck des toten Echnaton war nicht einfach der eines friedlich Entschlafenen, sein Antlitz strahlte eine Würde aus, die mehr an einen um alles wissenden Gott erinnerte als an einen Herrscher aus Fleisch und Blut. Wie er jetzt vor mir lag, aufgebahrt in einem kreisrunden Meer tiefroter Mohnblüten,entsann ich mich jenes Tages, als ich im Aton-Tempel von Waset zum ersten Mal die riesenhaften, von Thutmosis geschaffenen Figuren sah, die den damals noch jungen Herrscher mit eigenartig verzerrten Gesichtszügen zeigten. Beim ersten Hinsehen, und vor allem von vorne, mochten sie abstoßend oder auch beängstigend auf den Betrachter gewirkt haben. Damals ragte die Figur vor mir weit empor, sodass ich Pharaos Antlitz nur von unten sehen konnte. Jetzt, da er vor mir aufgebahrt lag, waren der Blickwinkel und damit die Wirkung auf mich nicht anders. Wie Blitze zuckten die Erinnerungen durch meinen Kopf, ebenso kurz und ebenso hell. Ich sah Echnaton in der Schatzkammer des Heiligtums von On, als er zum ersten Mal auf den alten Merire, den Ersten Sehenden des Re, traf. Ich sah ihn vor den Menschen, als er ihnen mit leuchtenden Augen seine Botschaft vom einzigen Gott, von Aton, verkündete. Ich sah ihn auf den Hügeln von Achet-Aton, wie er hinabblickte auf die von ihm geschaffene und so vollkommene Stadt und ihr Heiligtum, den großen Atontempel. Und ich sah, wie Echnaton zum ersten Mal liebevoll in die Augen Kijas sah, jener Frau, die ich selbst so sehr begehrt hatte.
     
    «Ich rufe Dich an, der Du größer bist als alle,
    der Du das All gegründet hast,
    Dich, der Du Dich selbst erzeugtest,
    der Du alles siehst und alle hörst
    und nicht gesehen wirst»
, betete Merire in Begleitung zweier Vorlesepriester hinter uns, und sein Gebet war für uns das Zeichen, ihnen Platz zu machen, damit sie beginnen konnten, die heiligen Riten an Echnaton zu vollziehen. Merire schwenkte einen dünnen, langen Arm aus reinem Gold, an dessen Ende aus einer kleinen geöffneten Hand Weihrauchwolken emporstiegen, damit die Luft von allem Unreinen gereinigt wurde.
     
    «Du bist der Vater von allem, was da ist.
    Deinem Sohn hast Du Ruhm und Kraft gegeben.
    Dem Mond hast Du gegeben, zu wachsen und zu schwinden
    und in seinem geregelten Lauf zu wandeln.»
     
    Tutanchaton ließ den Ersten Sehenden nicht aus den Augen, und ich glaube, es war mehr Bewunderung über das würdevolle Auftreten des kahl geschorenen Priesters, die die Augen des Jungen groß werden ließ, als dass es Angst vor dessen geheimnisvollem Tun war.
     
    «Als Du erschienest, entstand das Weltall,
    und das Licht erschien,
    und das All wurde durch Dich
    in seiner Ordnung eingerichtet.»
     
    Merire und seine beiden Helfer, die unentwegt mit kleinen Löffeln Weihrauch in die goldene Hand füllten, standen jetzt am Kopfende der Bahre. Mein Blick wandte sich von Echnaton ab und traf sich mit dem Merires. Für einen kurzen Wimpernschlag schien er verstört und hielt in seinem Gebet inne. Ich senkte meine Augen, und sogleich fuhr er in seinem eintönigen Gebet fort:
     
    «Deshalb ist Dir alles untergeordnet,
    Dir, dessen wahre Gestalt niemand sehen kann,
    der Du Dich in den Augen verwandelst,
    ewig leuchtender Gott der Ewigkeit.»
     
    Ich erinnerte mich jenes Tages, als mich mein Vater eilig in den Palast von Men-nefer geholt hatte. Der tote Pharao Thutmosis lag dort auf einer Bahre, und an ihm wurden wie heute an seinem Enkel Echnaton die ersten Riten für dessen Reise ins Jenseits vollzogen. Wie viel hatte sich seitdem geändert! Damals umrundete ein Priester unter der schwarzen Maske des Anubis den Herrscher, der mit seinem Tod Osiris geworden war.
    Doch Anubis und Osiris mussten mit allen übrigen GötternÄgyptens Aton als dem einzigen Gott weichen, sie wurden verbannt und geleugnet. Auch das Jenseits selbst hatte Echnaton geleugnet. Welche Erwartung, welche Hoffnung durften wir Sterblichen jetzt haben? Der Glaube Echnatons kannte kein Gericht im Jenseits, wo sich der Verstorbene

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