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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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nach oben auf den Toten. Die Gottheit überströmte das Antlitz jenes Mannes, der sich einst den Namen «Dem Aton wohlgefällig» gegeben hatte, mit rotgoldenem Glanz, sodass es schien, als wäre Echnaton selbst eine Gottheit aus reinstem Gold und als wollte er es seinem Gott gleichtun. Aton erleuchtete mit seinem Glanz auch das Antlitz des künftigen Herrschers, das Antlitz dessen, der von nun an sein göttlicher Sohn sein würde. Wie treffend war der Name des Kindes gewählt: Tutanchaton – «Lebendiges Abbild des Aton».
    Über den leiser werdenden, mehrstimmigen Gesang des Chores erhob sich ganz allmählich eine einzelne, kräftige und helle Frauenstimme und betete den Sonnengesang Echnatons. Ich sah, wie sich die vollen Lippen des Prinzen bewegten und wie er Wort für Wort den Lobpreis der Sonnenscheibe mitsprach. Nach und nach setzten wir alle ein, und ein jeder betete leise und für sich die heiligen Worte unseres toten Königs. Tiefer und tiefer sank währenddessen der einzige Gott Ägyptens feurigrot zum Horizont hinab und ließ die Menschen im Audienzhof im Schatten zurück, der jetzt höher und höher schlich und erst mich und die anderen, die auf der Treppe standen, erfasste. Dann legte er über den Toten den Schleier des Abends und ließ nur für einen kurzen Augenblick Tutanchaton in den letztenStrahlen des Tages erglänzen, bis auch ihn der Schatten ergriffen hatte und weit über ihm nur noch Aton selbst, der an der Wand der Audienzhalle abgebildet war, das Licht seiner Gottheit widerspiegelte. Nachdem auch Aton im Dunkel versunken war, endete der Sonnengesang und wurde der Chor leiser und leiser, bis er schließlich ganz verstummte.
    Es herrschte vollkommene Stille. Niemand wagte sich zu regen, und so verharrten wir alle, bis sich wenig später die Nacht über den Palast und die Stadt gelegt hatte. Hunderte Fackeln wurden entzündet, und während die Soldaten die Bahre wieder aufnahmen, trat ich zu Tutanchaton, und auch Teje, Meritaton und Anchesen-paaton scharten sich um mich. Langsam stiegen wir die Treppe hinab, und während ich am Polizeiobersten Mahu, dessen Blicke unentwegt misstrauisch in der Menge umhersahen, vorbeiging, flüsterte ich ihm zu: «Wer von euch hat sich das alles in dieser kurzen Zeit so einzigartig ausgedacht?»
    Nur für einen kurzen Augenblick trafen sich unsere Blicke. «Aper-el», sagte er knapp, und an seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass auch er zufrieden war.
    «Aper-el», wiederholte ich leise für mich. Es war schon längst an der Zeit, ihn mit höheren Ämtern zu betreuen. Dessen war ich mir nicht erst seit diesem Tag bewusst.
    Weil Echnaton alles verhasst war, was mit Krieg und Gewalt zu tun hatte, schwiegen die Kriegstrommeln, als der Trauerzug den Palasthof verließ und der König in einer geradezu unheimlichen Stille zur Königsstraße hinausgetragen wurde, wo die Bewohner Achet-Atons im Schein unzähliger Fackeln auf den toten und auf den zukünftigen Herrscher warteten. Der Thronfolger, Teje und Meritaton bestiegen jetzt ihre Sänften.
    Mit großen Augen sah Tutanchaton von seiner Sänfte auf mich herab. Mit seiner Linken schob er die fest geflochtene Jugendlocke, die ihm dabei ins Gesicht gerutscht war, nach hinten und fragte mich mit ängstlicher Stimme: «Bleibst du jetzt bei mir, Eje?»
    Ich nickte nur und legte zur Bekräftigung meiner stummenZusage die rechte Hand auf den Rücken seines Fußes, der in einer vergoldeten Sandale steckte.
    Mit ernster Miene sah der junge Prinz auf die Menschen, deren ebenso ernste Gesichter im unruhigen Lichtschein der Fackeln oftmals für kurze Augenblicke wie Fratzen von Dämonen wirkten, ehe ein jeder vor dem Thronfolger untertänig zu Boden blickte.
    Schritt für Schritt näherten wir uns der Anlegestelle des Nordpalastes, wo die Barke Echnatons bereit lag, um ihren Erbauer an das jenseitige Ufer zu bringen, damit er von den Balsamierern für die Ewigkeit vorbereitet wurde. Auch wenn Echnatons Vorstellung vom Jenseits eine andere war als die, mit welcher ich groß geworden war, so wollte auch er, dass sein Leichnam nach den uralten Riten für die Ewigkeit vorbereitet wurde. Nach der Reinigung des Toten wurden das Gehirn und die Eingeweide entfernt. Dann bettete man den Körper so lange in Natron ein, bis ihm alle Flüssigkeit entzogen war. Während das Innere des Kopfes mit flüssigem Bitumen ausgegossen wurde, rieb man das Äußere des Körpers mit kostbarsten Salben ein und übergoss ihn mit duftenden Ölen, um

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