Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
ja ich werde dich in die wahre Schatzkammer der Beiden Länder führen! Danach aber lass mich in Frieden gehen und mich noch ein paar Tage der Ruhe genießen!», flüsterte ich.
Dann wollte ich nur noch schlafen, so unbequem der Sessel, in dem ich saß, auch war. Ich schlief unruhig, und Träume, belastende, Angst einflößende Träume, quälten mich. Der schreckliche Anblick Echnatons kam in meinem Traum zurück. Doch die Bilder der Nacht waren noch viel schlimmer als das, was ich bei Tage gesehen hatte: Der Tote, dessen Mund blutverschmiert war, bewegte die Lippen und begann, den Sonnengesang zu sprechen, während unaufhörlich Blut aus seinen Mundwinkeln hervorquoll. Es schien, als konnte er einfach nicht sterben, obwohl ich wusste, dass er nicht mehr lebte. Bald bedrängten mich andere Bilder: Wie schon viele Jahre zuvor in einem Traum sah ich die Doppelkrone vor mir stehen. Ich ging auf sie zu, streckte die Hände nach ihr aus, um sie zu ergreifen, doch dann kam ein anderer, dessen Gesicht ich nicht sehen konnte, nahm die Krone, setzte sie sich aufs Haupt und ließ mich allein zurück, ohne mit mir auch nur ein Wort gesprochen zu haben.
Immer wieder erwachte ich schweißgebadet, und ich war stets aufs Neue beruhigt, wenigstens Tutanchaton friedlich schlafend neben mir liegen zu sehen. Erst gegen Morgen, als ich zwischen den Bäumen des Palastgartens die Dämmerung heraufziehen sah, fiel ich in wirklich tiefen Schlaf und erwachte erst wieder, als es schon längst heller Tag war.
Eine auffallende, unheimliche Stille lag über Achet-Aton, als ich in den Stadtpalast fuhr. Die Menschen wirkten verunsichert und ängstlich. In kleinen Gruppen standen sie beisammen, die Köpfe dicht an dicht, und flüsterten miteinander, um dann umso auffälliger auseinander zu gehen, sobald sich ein hoher Würdenträger näherte, der ebenfalls zum Palast eilte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass viele von ihnen keinen Sinn mehr darin sahen, in Achet-Aton zu bleiben. Hatten sie das Geschehene nicht als Abkehr Atons von seiner nur ihm geweihten Stadt zu verstehen? Oder fürchteten sie gar wie vor wenigen Tagen die Menschen in Merwer, dass Echnatons einziger Gott und Vater auf Geheiß der alten Götter von der Schlange Apophis verschlungen worden war und gar nicht mehr existierte? Fürchteten sie gar, als treue Gefolgsleute ihres Herrschers selbst von dem Ungeheuer verschluckt und der ewigen Verdammnis preisgegeben zu werden?
Die Lage schien mir ähnlich aufgeheizt und gefährlich zu sein wie in jenen Tagen, als Echnaton sich geweigert hatte, zur Beisetzung seines Vaters nach Waset zurückzukehren. Damals waren Aufrührer und falsche Propheten durch das Land und seine Städte gezogen und hatten, wo sie nur konnten, die verunsicherten Menschen gegen den Guten Gott aufgewiegelt. So schnell wie möglich musste dem Volk der neue Herrscher vorgestellt werden, da waren wir uns einig.
Wie unzählige Male vorher auch saßen wir im Beratungssaal des königlichen Stadtpalastes, dessen Fußboden nicht wie in Men-nefer oder in Waset mit Abbildungen der gefesselten Feinde Ägyptens geschmückt war, damit sie der Fuß Pharaostreten konnte, wann immer er wollte. Den Boden dieses Raumes zierten Tausende Blumenblüten aus kleinen, bunten Tonfliesen, die so täuschend echt wirkten, dass man beim ersten Betreten Scheu hatte, darüber hinwegzulaufen. Die Wände der Längsseiten des Saales zeigten Schilflandschaften, in welchen es von Getier nur so wimmelte: unterschiedliche Arten von Enten ohne Zahl, Katzen, Krokodile und Flusspferde. Selbst eine winzige Maus, die einen Papyrusstängel hochkletterte, um einer Schlange zu entkommen, war abgebildet. Sah man aus einem der ungewöhnlich breiten Fenster, hatte man den herrlichsten Ausblick auf den Nil und die gegenüberliegende Landschaft. Aus Ton geformte, dunkelblau glasierte und üppige Trauben, die lose von der niedrigen Decke hingen, waren der Natur so vollkommen nachgebildet, dass man bei einem geistesabwesenden Blick aus dem Fenster am liebsten nach oben gegriffen hätte, um eine der Trauben zu pflücken.
Nur die beiden Throne, die auf einem Podest an der Stirnseite des Saales standen und über denen ein farbenfrohes Steinrelief mit Echnaton und Nofretete unter dem Strahlenaton prangte, waren leer.
«Lasst uns nicht zögern», mahnte uns Mahu, denn als Polizeioberster wusste er die Gefährlichkeit der Lage am besten einzuschätzen. «Ihr dürft nicht vergessen, dass nicht nur in Achet-Aton und
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