Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
Vom Netzwerk:
Gottheiten waren mir nach kurzer Zeit ebenso vertraut wie ihre Heiligtümer und alle Sehenden, die ihnen über all die Jahrhunderte hinweg gedient hatten. Aber nirgendwo fand ich auch nur den geringsten Hinweis auf die Tränen des Re. Stunden und Tage saß ich gebeugt über Landkarten und zog Linien von einem Heiligtum zum anderen, denn ich hatte gehofft, dass ich dort, wo sich die Verbindungslinien kreuzten, fündig werden würde. Aber es ergab alles keinen Sinn.
    «Mein Vater starb vor vier Monaten», sagte mir der Goldschmied, der angeblich um das Geheimnis der Tränen wusste und den die Polizisten Mahus für mich ausfindig gemacht hatten. Er lebte in einer ärmlichen Behausung am Stadtrand vonMen-nefer und hatte selbst schon vor acht Jahren aufgehört, als Goldschmied zu arbeiten.
    «Mein Augenlicht war dahin, hoher Herr», sagte er leise, und aus seinen Worten hörte ich all den Kummer heraus, der ihn wegen seiner Blindheit quälte. «Meine Hände haben nichts von ihrer Geschicklichkeit verloren. Mein Geist ist wach wie vor dreißig Jahren. Aber wenn die Götter einem Goldschmied das Augenlicht nehmen, ist es so, als würden sie ihm die Hände abhacken.» Er saß vor seinem Haus auf einer Bank und starrte regungslos ins Nichts.
    «Die Tränen des Re», wiederholte er beinahe erschrocken, als ich ihn danach befragt hatte.
    «Mein Vater hatte eine von ihnen bearbeitet, ja, davon hat er mir erzählt. Sie soll nicht viel größer gewesen sein als ein Taubenei. Rein wie eine Träne, und doch nicht klar. Ihre Farbe war ein zartes Grün, und doch schimmerte viel Gelb hindurch. Sie sah aus wie Glas und war doch härter als alles, was mein Vater bis dahin je bearbeitet hatte. Nur Diorit, der härteste aller Steine, vermochte seinen Widerstand zu brechen.»
    «Weißt du, was dein Vater aus der Träne geformt hat?», fragte ich den Alten.
    «Nein, Herr. Er hat darüber nie gesprochen. Er hat überhaupt wenig über die Träne gesprochen, denn man sagte, sie würde Unglück bringen, großes Unglück.»
    «Brachte sie denn deinem Vater Unglück?»
    «Gibt es größeres Unglück, Herr, als den Tod eines Sohnes und des geliebten Weibes?», gab der Mann die Frage an mich zurück.
    «Das mag Zufall gewesen sein. Es sterben viele Söhne vor der Zeit – und viele Frauen. Ich musste es selbst erleben», tat ich seinen Einwand ab.
    «Auch Pharaos Sohn ist plötzlich gestorben, nachdem ihm mein Vater das Schmuckstück übergeben hatte. Und damit sie nicht noch mehr Unheil über Ägypten brachte, befahl er, sie zu seinem Grabschatz zu geben. So kehrte sie mit der Seeledes toten Herrschers zurück zu dem, der sie einst vergossen hatte.»
    Es hatte wohl keinen Sinn, ihm weitere Fragen zu stellen, denn sein Geist schien mir doch verwirrt zu sein. Dann aber entschied ich mich anders, denn wenn auch er nicht mehr lebte, würde es kein Zurück geben.
    «Weißt du denn, wie die Träne in den Besitz Pharaos gelangte, ehe er sie deinem Vater anvertraute?»
    «Händler, mein Herr. Ja, es waren einfach nur Händler aus einem fernen Land, die sie an den Hof nach Men-nefer gebracht hatten.»
    Auch diese Antwort hatte mir nicht weitergeholfen.
     
    Tutanchamun hatte es endlich geschafft. Nachdem er dreimal tatsächlich nur auf Hyänen getroffen war und diese hässlichen Tiere, ohne zu zögern, niedergestreckt hatte, hatte er schließlich ein Rudel Löwen ausgemacht. Ihm und Amenemhet war es gelungen, den mächtigen Anführer vom Rest des Rudels zu trennen und zu verfolgen.
    «Es ist doch schwieriger, als ich dachte, einen Löwen tödlich zu treffen», sagte Nassib nachdenklich und ließ den Rand des Bechers über seine Unterlippe hin und her gleiten.
    «Jedes andere Tier sinkt bald tot zusammen, wenn der Pfeil sein Herz durchbohrt hat. Aber dieser Löwe! Er brüllte und fauchte uns an. Er schlug mit seiner Tatze nach uns, obwohl wir uns in sicherer Entfernung befanden. Er stand breitbeinig da, und mir schien, als brachte er all seine Kraft nur auf, um nicht vor unseren Augen zu Boden zu gehen. Sein Kopf wankte hin und her, als wollte er uns so auffordern, zu gehen, damit wir ihn nicht sterben sahen. Und als er endlich dalag, erhob er ein letztes Mal sein Haupt, drehte es zu uns herüber, um uns noch einmal all seine Verachtung entgegenzubrüllen. Dann senkte er das Haupt und verendete.»
    Wir saßen lange schweigend da, denn auch mich hatte sein Bericht ergriffen. Irgendwie beruhigte es mich aber, dass er nochetwas dabei empfand, wenn er ein Tier

Weitere Kostenlose Bücher